Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
der Wachtürme entlang der Küste, die in der Dunkelheit strahlten wie aufgereihte Diamanten, und er sagte dem Fräulein, dieses wären seine besten und kostbarsten Juwelen und daß er ihres Vaters Abgaben dazu verwendete, ihren hellen Glanz zu erhalten. Und dann lenkte er die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf die Signalfeuer in den Türmen der Festung seines Gastgebers und sagte ihnen, wenn sie ihren Herrn ansähen, sollten sie sich diese schimmernden Lichter als Edelsteine in seinem Stirnreif denken. Es war ein wohlerwogenes Kompliment für den Herzog und die Herzogin und verfehlte nicht den Eindruck auf die anwesenden Barone. Die Outislander hatten wenig Glück mit ihren Überfällen in jenem Sommer. Das war die Art, wie Chivalric herrschte. Durch sein Beispiel und die kluge Wahl seiner Worte, wie es jedem wirklichen Prinzen wohl anstünde zu tun.«
»Ich bin kein wirklicher Prinz. Ich bin ein Bastard.« Es klang merkwürdig aus meinem eigenen Mund, das Wort, das ich so oft hörte und so selten aussprach.
Burrich seufzte leise. »Mach deinem Blut Ehre, Junge, und achte nicht darauf, was andere von dir denken.«
»Manchmal bin ich es leid, den schweren Weg zu gehen.«
»Ich auch.«
Darüber grübelte ich eine Weile nach, während ich mich mit dem Striegel an Rußflockes Schulter hinunterarbeitete. Burrich, immer noch neben dem Grauen kauernd, ergriff als erster wieder das Wort. »Ich stelle an dich keine größeren Anforderungen als an mich selbst. Du weißt, daß es so ist.«
»Ja, ich weiß«, antwortete ich, überrascht, daß er noch einmal darauf zurück kam.
»Ich will mir nicht vorwerfen müssen, an dir etwas versäumt zu haben.«
Ein ganz neuer Gedanke für mich. Nach kurzem Sinnen fragte ich: »Weil du glaubst, Chivalric käme vielleicht zurück, wenn er erfährt, daß aus mir ein Sohn geworden ist, auf den man stolz sein kann?«
Das gleichmäßige Reiben, mit dem Burrich Liniment in das Bein des Wallachs massierte, wurde langsamer, hörte auf. Seine Stimme drang gedämpft durch die Trennwand aus Brettern. »Nein. Ich glaube, nichts und niemand könnte ihn dazu bringen, wieder an den Hof zu kommen. Und selbst wenn er zurückkäme«, Burrich sprach langsamer, »selbst wenn er zurückkäme, wäre er nicht mehr der, der er gewesen ist. Vorher, meine ich.«
»Es ist allein meine Schuld, daß er fortgegangen ist, nicht wahr?« Die Worte der Frauen am Webstuhl hallten in meinem Kopf wieder. Wäre der Junge nicht gewesen, stünde er immer noch zur Rechten des Königs.
Burrich schwieg lange. »Niemand ist schuld, daß er geboren wird.« Er stieß einen Seufzer aus, und die Worte schienen ihm nur schwer über die Lippen zu gehen. »Und kein Neugeborenes ist schuld an seiner Herkunft. Nein. Chivalric hat das Unheil selbst über sein Haupt gebracht, obwohl es mich schmerzt, das zu sagen.« Ich hörte, wie seine Hände wieder das Bein des Wallachs zu massieren begannen.
»Und über dein Haupt«, sagte ich zu Rußflockes Schulter, so leise, daß er es unmöglich verstehen konnte, doch einen Atemzug später hörte ich ihn brummen: »Ich komme zurecht, Fitz. Ich komme zurecht.«
Er war mit seiner Arbeit fertig und kam um die Abtrennung herum in Rußflockes Stand. »Du bist heute so schwatzhaft wie eine alte Klatschbase, Fitz. Was ist in dich gefahren?«
Nun war es an mir zu stutzen und nachzudenken. Chades Einfluß, daran lag es. Jemand, der wollte, daß ich verstand und mitbestimmte, was ich lernte, hatte mir Mut gemacht, endlich die Fragen zu stellen, die ich seit Jahren mit mir herumschleppte. Doch weil ich das nicht sagen konnte, ohne mein gegebenes Wort zu brechen, zuckte ich die Schultern und antwortete wahrheitsgemäß: »Das sind nur Dinge, über die ich mir schon lange Gedanken gemacht habe.«
Burrich schien zufrieden zu sein. »Schön. Es ist ein Fortschritt, daß du fragst, obwohl ich dir nicht immer eine Antwort versprechen kann. Ich bin froh, dich reden zu hören wie einen Menschen, so habe ich weniger Sorge, dich an die Tiere zu verlieren.« Bei den letzten Worten warf er mir einen strengen Blick zu, bevor er sich umdrehte und humpelnd die Stallgasse hinunterging. Ich sah ihm nach und mußte an den Abend denken, als ich in seine Obhut gekommen war und wie ein Blick von ihm genügt hatte, einen ganzen Raum voller Männer zur Räson zu bringen. Er war nicht mehr derselbe. Er war immer noch unumschränkter Herrscher in den Stallungen, und niemand stellte seine Autorität dort in Frage. Doch er
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