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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ein Pferd, das er zu kaufen erwog. Anschließend stellte er mir ein, zwei Fragen über meine Fortschritte im Reiten und im Gebrauch der Waffen und hörte sich mit ernster Miene meine kurzen Antworten an. Zuletzt fragte er, beinahe formell: »Und bist du der Ansicht, daß ich meinen Vertrag mit dir erfülle?«
    »Ja, das bin ich, Euer Majestät«, antwortete ich jedesmal.
    »Dann erfülle auch du deinen Teil«, lautete regelmäßig seine Erwiderung, und ich war entlassen. Keiner der Lakaien, die ihm aufwarteten oder mir die Tür öffneten, schienen je die geringste Notiz von mir oder den Worten des Königs zu nehmen.
    Im Spätherbst des Jahres, kurz bevor sich der schwarze Rachen des Winters über uns schloß, erhielt ich meinen schwierigsten Auftrag. Chade rief mich zu sich, kaum daß ich mein Nachtlicht gelöscht hatte. Vor seinem Kamin sitzend, naschten wir Konfekt und tranken gewürzten Wein. Er lobte meine jüngste Eskapade, die darin bestanden hatte, jedes Hemd an der Leine hinter dem Waschhaus von innen nach außen zu kehren. Es war ein kniffliges Unterfangen gewesen. Am schwersten fiel es mir, nicht loszuprusten und mein Versteck in einem Färberbottich zu verraten, als zwei Wäscherbuben meinen Streich zu einem Werk der Wassergeister erklärten und sich weigerten, an diesem Tag weiterzuarbeiten. Wie gewöhnlich wußte Chade über alles Bescheid, noch bevor ich ihm Bericht erstatten konnte. Von ihm erfuhr ich zu meiner Erleichterung, daß Meister Lew, der im Waschhaus das Zepter schwang, befohlen hatte, in jeder Ecke des Trockenplatzes und über jedem Brunnen Feinwurz aufzuhängen, um die Kobolde von der Arbeit des morgigen Tages fernzuhalten.
    »Du hast eine Begabung für solche Geschäfte, Junge.« Chade saß in seinem Lehnstuhl vor dem Feuer, ich neben ihm auf den Boden, den Rücken an sein Bein gelehnt. Er lachte in sich hinein und strich mir über den Kopf, wie Burrich vielleicht einem jungen Wachtelhund, der sich bei der Jagd bewährt hatte. »Ich glaube fast, es gibt nichts, was ich dir auftragen könnte, das du nicht zuwege bringst.« Dann beugte er sich vor und sagte leise: »Aber ich wüßte eine echte Herausforderung für dich.«
    »Was denn?« fragte ich begierig.
    »Keine Kleinigkeit, selbst nicht für jemanden mit deinem Geschick«, warnte er mich.
    »Stell mich auf die Probe!«
    »Oh, in ein, zwei Monaten vielleicht, wenn deine Ausbildung etwas weiter gediehen ist. Für heute nacht will ich dir ein Spiel beibringen, eins, das dein Auge und dein Gedächtnis schult.« Er griff in einen Beutel und zog etwas heraus. Für einen kurzen Moment hielt er mir die geöffnete Hand vor die Augen: farbige Steine. Die Hand schloß sich. »Waren gelbe dabei?«
    »Ja. Chade, was ist das für eine Herausforderung?«
    »Wieviel?«
    »Zwei, die ich sehen konnte. Chade, laß es mich versuchen.«
    »Könnten es mehr als zwei gewesen sein?«
    »Möglich, falls einige unter den anderen verborgen waren. Ich glaube aber nicht. Chade, bitte.«
    Er öffnete seine knochige Altmännerhand und rührte mit dem Zeigefinger in den Steinen. »Du hattest recht. Nur zwei gelbe. Noch ein Versuch?«
    »Chade, ich kann es.«
    »Das glaubst du, ja? Schau, ich zeige dir die Steine. Eins, zwei, drei und fort sind sie. Waren rote dabei?«
    »Ja. Chade, was ist das für eine Herausforderung?«
    »Waren es mehr rote als blaue? Mir etwas Persönliches von des Königs Nachttisch zu bringen.«
    »Was?«
    »Waren es mehr rote Steine als blaue?«
    »Nein, ich meine, was soll ich tun?«
    »Falsch, Junge!« Chade öffnete triumphierend die Faust. »Sieh her, drei rote und drei blaue. Dein Auge muß schneller werden, wenn du dich meiner Herausforderung gewachsen zeigen willst.«
    »Und sieben grüne. Ich wußte es, Chade. Aber – du willst, daß ich den König bestehle?« Ich glaubte immer noch, mich verhört zu haben.
    »Nicht bestehlen, nur etwas von ihm ausleihen. Wie Mistress Hurtigs Schere. Es schadet doch niemandem, so ein kleiner Streich, oder findest du?«
    »Nein, außer, daß man mich auspeitscht, wenn ich erwischt werde. Oder Schlimmeres.«
    »Und du hast Angst, daß man dich ertappt. Siehst du, ich habe dir gesagt, warten wir noch ein, zwei Monate, bis du sicherer geworden bist.«
    »Es ist nicht die Bestrafung. Nur, wenn man mich ertappt ... der König und ich ... wir haben eine Abmachung ...« Meine Stimme erstarb, ich sah ihn hilflos an. Der Unterricht durch Chade war Teil des Vertrags zwischen dem König und mir. Zu Anfang eines

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