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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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wußte nicht, daß ein Schreiber sich mit solchen Dingen befaßt.«
    Plötzlich wurde mir bewußt, daß sie mich für den Famulus des Schreibers hielt, und ich sah keinen Grund, sie eines Besseren zu belehren. »Oh, Fedwren benutzt die verschiedensten Zutaten für seine Tuschen und Tinten. Von manchen Schriften macht er nur schlichte Kopien, aber andere sind reich verziert mit Vögeln und Katzen und Schildkröten und Fischen. Er hat mir ein Pflanzenbuch gezeigt, worin Blätter und Blüten eines jeden Krauts als Borte am unteren Seitenrand ausgeführt waren.«
    »Das würde ich furchtbar gerne sehen«, meinte sie sehnsüchtig, und sofort begann ich nachzudenken, ob es sich vielleicht bewerkstelligen ließ, das Buch für kurze Zeit auszuborgen.
    »Vielleicht gelingt es mir, dir eine Kopie zu beschaffen – nicht zum Behalten, aber für zwei, drei Tage, bis du sie studiert hast«, bot ich ihr zögernd an.
    Sie lachte, aber mit einem bitteren Unterton. »Als ob ich lesen könnte! Du hast wahrscheinlich als Gehilfe eines Schreibers ein paar Buchstaben aufschnappen können.«
    »Ein paar«, gab ich zu und war überrascht von dem Neid in ihren Augen, als ich ihr meine Liste zeigte und gestand, daß ich alle sieben Worte darauf lesen konnte.
    Von einem Moment zum anderen wurde sie still. Sie ging langsamer, und ich merkte, daß wir uns dem Laden näherten. Ob ihr Vater sie immer noch schlug? Ich wagte nicht zu fragen. In ihrem Gesicht waren jedenfalls keine Spuren von Mißhandlungen zu entdecken. Vor der Ladentür blieben wir stehen. Sie schien sich zu einem Entschluß durchgerungen zu haben, denn sie legte mir die Hand auf den Arm, holte tief Luft und fragte dann: »Wenn ich dir etwas Geschriebenes gebe, würdest du es mir vorlesen? Soweit du kannst?«
    »Ich will es gern versuchen.«
    »Als ich – seit ich angefangen habe, Röcke zu tragen, hat mein Vater mir die Hinterlassenschaft meiner Mutter gegeben. Sie war als Mädchen Zofe bei einer vornehmen Dame oben auf der Burg und durfte Schreiben lernen. Ich habe einige Tafeln, die von meiner Mutter stammen, und ich möchte wissen, was darauf steht.«
    »Ich will es versuchen«, wiederholte ich.
    »Mein Vater ist im Laden.« Weiter sagte sie nichts, aber ein kurzes Forschen in ihrem Bewußtsein verriet mir genug.
    »Ich soll für Schreiber Fedwren zwei Bienenwachskerzen kaufen«, erinnerte ich sie. »Ich darf mich nicht ohne sie bei ihm blicken lassen.«
    »Tu so, als würden wir uns nur flüchtig kennen«, warnte sie mich, bevor sie hineinging.
    Ich folgte ihr, aber langsam, als hätte der Zufall uns an der Tür zusammengeführt. Die Vorsicht erwies sich als überflüssig, denn ihr Vater schlief in einem Sessel neben dem Herd. Ich erschrak über sein Aussehen. Er wirkte ausgemergelt, sein Gesicht erinnerte an eingesunkenen Pastetenteig über einer klumpigen Obstfüllung. Ich hatte meine Lektion bei Chade gelernt. Ein Blick auf Fingernägel und Lippen des Mannes verriet mir, daß er nicht mehr lange zu leben hatte. Vielleicht schlug er Molly nicht mehr, weil ihm die Kraft fehlte. Molly bedeutete mir, leise zu sein. Sie verschwand hinter den Vorhängen, die Wohnung und Laden trennten, und ich hatte Muße, mich in dem Verkaufsraum umzusehen.
    Er war nicht groß, aber höher als die meisten Behausungen von Burgstadt. An Mollys Fleiß lag es wohl nicht, daß er so reinlich und aufgeräumt war. Die aromatischen Gerüche und das weiche Licht ihres Gewerbes erfüllten den Raum. Ihre Waren hingen paarweise an den verbundenen Dochten von langen Holzpflöcken. Einfache, dicke Kerzen für den Gebrauch auf Schiffen füllten ein weiteres Regal. Zu ihrem Sortiment gehörten sogar drei glasierte Tonlampen für Kunden, die sich etwas leisten konnten. Zusätzlich zu den Kerzen verkaufte sie Honig, ein Nebenerzeugnis der Bienenstöcke hinter dem Haus, die das Wachs für ihre feinste Qualitätsware lieferten.
    Endlich kam Molly wieder zum Vorschein und winkte mich zu sich. Sie stellte einen Leuchter auf den Tresen, legte einen Stapel Schreibtafeln daneben, trat einen Schritt zurück und preßte die Lippen zusammen, als hätte sie Zweifel, ob das, was sie tat, klug war.
    Die Tafeln entsprachen der alten Art – einfache Bretter, in Form geschnitten und glattgeschmirgelt. Die Buchstaben waren sorgsam aufgepinselt und anschließend mit einer gelblichen Harzschicht überzogen worden. Bei vieren handelte es sich um genau beschriebene Kräuterrezepte für Heilkerzen. Während ich mit gedämpfter

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