Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Stunde heimlich in die Stadt schleichen, das kann doch nur bedeuten, daß du wieder Unfug im Sinn hast.«
Ich war an Edels Abneigung gewöhnt, aber daß er mich so attackierte, hatte ich noch nicht erlebt. Im allgemeinen begnügte er sich damit, mir aus dem Weg zu gehen oder einen Bogen um mich zu machen, als wäre ich ein frischer Dunghaufen. Wohl oder übel mußte ich mich verteidigen. »Ich war in der Stadt, Herr, und bin jetzt auf dem Weg zurück zur Burg. Fedwren hat mich geschickt, Besorgungen für ihn zu machen.« Zum Beweis für die Wahrheit meiner Worte hielt ich den Korb hoch.
»Aber gewiß doch.« Edel verzog höhnisch den Mund. »Ein schönes Märchen. Meinst du nicht auch, das wäre als Zufall etwas zuviel des Guten, Bastard?« Wieder schleuderte er mir das Wort entgegen.
Ich muß sowohl verletzt als auch verwirrt ausgesehen haben, denn Veritas schnaufte auf seine gutmütige Art und sagte: »Nimm's ihm nicht übel, Junge. Uns beiden ist bei deinem Anblick unheimlich geworden. Vorhin ist ein Binnensegler eingelaufen, am Mast den Wimpel für eine besondere Botschaft. Und als Edel und ich hinunterreiten, um sie in Empfang zu nehmen, ist sie von Philia, die uns von Chivalrics Tod unterrichtet. Dann, als wir die Straße hinaufkommen, was sehen wir, wenn nicht das genaue Ebenbild von ihm als Junge, und in der Verfassung, in der wir waren ...«
»Du hast wirklich nicht für zwei Heller Verstand, Veritas«, spuckte Edel. »Trompete es nur heraus, damit die ganze Stadt Bescheid weiß, bevor wir dem König die Nachricht gebracht haben. Und setz dem Bastard keine Flausen in den Kopf, daß er aussieht wie Chivalric. Nach allem, was ich höre, bildet er sich schon genügend Schwachheiten ein, dank unseres verehrten Herrn Vaters. Komm schon. Wir haben noch eine traurige Pflicht zu erfüllen.«
Edel riß seinem Pferd den Kopf hoch und hieb ihm die Sporen in die Flanken. Ich sah ihm nach, und ich schwöre, mein einziger Gedanke war, nachher im Stall dem armen Tier einen Besuch abzustatten und zu sehen, wie böse sein Maul zerschunden war. Doch irgend etwas bewog mich, zu Veritas aufzuschauen und zu sagen: »Mein Vater ist tot.«
Er saß regungslos auf seinem Pferd. Obwohl er größer und vierschrötiger war als Edel, machte er im Sattel eine ungleich bessere Figur. Schweigend sah er mich eine Weile an, dann sagte er: »Ja. Mein Bruder ist tot.« Er, mein Onkel, gewährte mir diesen Augenblick der Verbundenheit, und das prägte für immer die Art, wie ich diesen Mann sah. »Steig hinter mir auf, Junge, und ich nehme dich mit zurück zur Burg«, bot er mir an.
»Ich danke Euch, aber lieber nicht. Burrich würde mir die Haut abziehen, wenn ich auf dieser Straße einem Pferd zusätzliche Belastung zumuten wollte.«
»Du hast recht, das würde er.« Veritas grinste freundlich. Er ordnete die Zügel. »Tut mir leid, daß du es auf diese Art erfahren mußtest. Ich habe nicht überlegt. Mir selbst kommt es noch ganz unfaßbar vor.«
Flüchtig las ich den Schmerz des Bruders in seinem Gesicht, dann beugte er sich vor, sprach zu seinem Pferd, und es fiel in Galopp. Gleich darauf befand ich mich wieder allein auf der Straße.
Ein dünner Nieselregen setzte ein, das letzte Tageslicht verblaßte, und immer noch verharrte ich auf demselben Fleck. Ich sah zur Burg hinauf, schwarz vor dem Sternenhimmel. Nur hier und da fiel etwas Licht aus einem Fenster oder einer Schießscharte. Einen Moment war ich versucht, meinen Korb hinzustellen und wegzulaufen, in die Dunkelheit zu fliehen und nie mehr wiederzukehren. Ob sich irgend jemand die Mühe machen würde, nach mir zu suchen? Doch statt dessen wechselte ich den Henkelkorb an den rechten Arm und machte mich mit schwerem Herzen auf die zweite Hälfte des Rückwegs zur Burg.
Kapitel 7
Eine Aufgabe
Beim Tod von Königin Desiderata ging die Rede von Gift. Ich habe mich entschlossen, hier niederzuschreiben, wovon ich weiß, daß es die lautere Wahrheit ist. Königin Desiderata wurde vergiftet, aber von eigener Hand und über einen langen Zeitraum hinweg, und ihren Gemahl traf eine Schuld. Oft hatte er versucht, sie von ihren Exzessen abzuhalten. Mediä wurden konsultiert, auch Herbalisten, doch kaum hatte er sie überzeugen können, eine Droge aufzugeben, schon entdeckte sie eine neue, deren Wirkung sie ausprobierte.
Zum Ende ihres letzten Sommers wurde sie noch zügelloser, nahm verschiedene Mittel gleichzeitig und gab sich keinerlei Mühe mehr, ihre Sucht geheimzuhalten. Ihr
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