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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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kenne meine Grenzen, und ich bin nicht so töricht, sie zu überschreiten.«
    Also ritten wir weiter. Was hätten wir auch sonst tun sollen? Doch ich hielt mich neben dem Kopf seines Braunen, wo ich nach den Zügeln greifen konnte, sollte es nötig sein. Das Rauschen der Brandung wurde lauter, der Pfad erheblich steiler. Ohne mein Wollen ergab es sich, daß ich die Führung übernahm.
    Auf einem Felsvorsprung über einem flachen Sandstrand kamen wir endgültig aus dem Wald heraus. »Eda sei Dank, sie haben die Verabredung eingehalten«, murmelte Chade hinter mir, und bei einem Blick nach unten entdeckte ich den flachen Kahn, der dicht am Ufer vor Anker lag. Ein Mann auf Wache rief hallo und schwenkte die Mütze. Ich hob grüßend den Arm.
    Der Abstieg erwies sich als nicht ungefährliche Rutschpartie, die wir aber heil bewältigten. Unten angelangt, ging Chade sofort an Bord, und mir blieb es überlassen, die Pferde zu verladen. Beide zeigten keine Neigung, sich in die Wellen hinauszuwagen, ganz zu schweigen davon, freiwillig über die niedrige Reling an Bord zu klettern. Ich versuchte, mit ihnen Verbindung aufzunehmen, sie wissen zu lassen, was von ihnen erwartet wurde, aber zum ersten Mal in meinem Leben war ich einfach zu erschöpft. Es gelang mir nicht, die erforderliche Konzentration aufzubringen. Folglich waren drei Matrosen, zahlreiche Flüche und zwei Vollbäder meinerseits nötig, um sie endlich an Bord zu manövrieren. Jedes Zipfelchen Leder und jede Schnalle an Zaum- und Sattelzeug war mit Salzwasser getränkt. Wie sollte ich Burrich das erklären? Der Gedanke beschäftigte mich am meisten, während ich am Bug saß und zuschaute, wie die Matrosen im Beiboot sich in die Riemen legten, um uns in tieferes Wasser zu schleppen.

Kapitel 10
Erkenntnisse
     
    Die Zeit und die Tide warten auf niemanden – ein Sprichwort von allgemeiner Gültigkeit. Bei Seeleuten und Fischern bedeutet es schlicht, daß das Ein- und Auslaufen vom Rhythmus der Gezeiten diktiert wird und sich nicht nach dem Belieben der Menschen richtet. Doch manchmal liege ich hier, nachdem der Tee den größten Schmerz gelindert hat, und denke darüber nach. Ebbe und Flut warten auf keinen Saumseligen, davon weiß ich, daß es stimmt. Aber die Zeit? Wartete die Zeit, in die ich hineingeboren wurde, auf mein Auftauchen an genau diesem Punkt der Geschichte? Griffen die Ereignisse schwerfällig und rumpelnd ineinander wie die hölzernen Zahnräder der Uhr von Sayntanns und lenkten mein Leben in vorherbestimmte Bahnen? Ich erhebe keinen Anspruch auf Größe. Und doch, hätte ich nicht das Licht der Welt erblickt, wäre so vieles anders. So vieles? Besser? Ich glaube nicht. Und dann reibe ich mir über die trüben Augen und frage mich, ob diese Gedanken aus meinem Kopf stammen oder von der Droge in meinem Blut. Es wäre schön, mit Chade Rat halten zu können, ein letztes Mal.
     
    Die Sonne war weitergewandert, und der Nachmittag ging zu Ende, als jemand mich wachrüttelte. »Dein Herr will dich sehen«, sagte der Mann kurzangebunden, und ich war mit einem Schlag hellwach. Kreisende Möwen, die frische Seeluft und das gravitätische Wiegen des Küstenfrachters erinnerten mich daran, wo ich mich befand. Ich erhob mich von meinem harten Lager, beschämt, daß ich eingeschlafen war, ohne an Chade gedacht zu haben. Mit schlechtem Gewissen eilte ich zu den Aufbauten am Heck. Dort stellte ich fest, das Chade sich des kleinen Messetischs bemächtigt hatte. Er saß vor einer ausgebreiteten Landkarte, aber es war die große Terrine mit Fischsuppe, die meine Aufmerksamkeit fesselte. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, zuzugreifen, und ich ließ mich nicht zweimal bitten. Es gab Schiffszwieback dazu und einen sauren Rotwein. Ich hatte nicht gemerkt, wie hungrig ich war, bis das Essen vor mir stand. Als ich mit einem Stück Zwieback den Rest vom Teller kratzte, fragte Chade: »Besser?«
    »Viel. Und wie steht es mit dir?«
    »Ausgezeichnet« behauptete er und sah mich mit seinem charakteristischen Raubvogelblick an. Zu meiner Erleichterung schien er sich völlig erholt zu haben. Er stellte meinen Teller zur Seite und schob mir die Karte hin. »Gegen Abend«, erläuterte er, »werden wir diesen Punkt an der Küste erreicht haben. Mach dich auf eine rauhe Landung gefaßt. Wenn wir Glück haben, bekommen wir günstigen Wind, falls nicht, verpassen wir den Höhepunkt der Flut, und die Strömung ist stärker. Es kann sein, daß die Pferde schwimmen müssen,

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