Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
während wir im Boot ans Ufer rudern. Ich hoffe, das bleibt uns erspart, aber es ist besser, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Sobald wir an Land sind ...«
»Du riechst nach Carrissamen.« Ich konnte es nicht glauben, aber das süße Aroma in seinem Atem war unverkennbar. Carriskuchen gab es beim Frühlingsfest, und ich kannte die aufputschende Wirkung der wenigen Samenkörner, mit denen das Gebäck bestreut war. Jeder feierte den Frühlingsanfang auf diese Weise. Einmal im Jahr, was konnte es schaden? Doch ich wußte auch, daß Burrich mich gewarnt hatte, nie ein Pferd zu kaufen, das nach Carrissamen roch. Und drohend hatte er hinzugefügt, falls er je einen erwischte, der unseren Pferden Carrissamen ins Futter tat, würde er ihn töten. Mit bloßen Händen.
»Wahrhaftig? Denk an. Nun, ich schlage vor, falls du mit den Pferden schwimmen mußt, packst du am besten Hemd und Umhang in einen Segeltuchbeutel und läßt ihn bei mir im Boot. Auf die Art hast du wenigstens nachher etwas Trockenes zum Anziehen. Vom Ufer führt unser Weg ...«
»Burrich sagt, wenn man einem Tier davon gegeben hat ist es nie wieder dasselbe. Er sagt, man kann ein Pferd damit füttern und ein Rennen gewinnen oder einen Hirsch zu Tode hetzen, aber danach ist es für immer verdorben. Er sagt, Roßtäuscher benutzen es, um einen Gaul auf dem Markt besser aussehen zu lassen, selbst der älteste Klepper wird davon lebhaft wie ein Füllen, aber das vergeht bald. Burrich sagt, die Pferde verlieren das Gefühl dafür, wann sie müde sind, und laufen weiter, bis sie tot zusammenbrechen.« Die Worte sprudelten aus mir heraus, kaltes Wasser über Steine.
Chade hob den Blick von der Karte und schaute mich väterlich an. »Erstaunlich, wie gut Burrich über Carrissamen Bescheid weiß. Ich bin froh, daß du ihm so gut zugehört hast. Jetzt bist du vielleicht so freundlich und schenkst mir die gleiche Aufmerksamkeit, während wir die nächste Etappe unserer Reise planen.«
»Aber Chade ...«
Sein Blick wurde durchbohrend. »Burrich ist ein ausgezeichneter Pferdekenner. Schon als Junge war er sehr vielversprechend. Er irrt sich selten – wenn es um Pferde geht. Nun paß auf, was ich sage. Wir brauchen eine Laterne, um vom Strand nach oben auf die Klippen zu gelangen. Der Pfad ist schlecht, eventuell müssen wir die Pferde einzeln hinaufführen. Aber man hat mir versichert, daß es zu bewerkstelligen ist. Von dort reiten wir nach Ingot. Querfeldein, wie du siehst, bedeutet das der Straße gegenüber eine Abkürzung. Die Gegend ist hügelig, aber nicht bewaldet. Und wir reiten nachts, also müssen wir uns nach den Sternen orientieren. Ich hoffe, irgendwann nachmittags in Ingot einzutreffen. Wir geben uns als harmlose Reisende aus. Weiter habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, wir müssen nach den jeweiligen Gegebenheiten entscheiden, was wir tun ...«
Vorbei der Augenblick, da ich ihn hätte fragen können, wie es ihm möglich war, Carrissamen zu essen und nicht zu sterben, verdrängt von seinen taktischen Vorträgen und ausgeklügelten Plänen. Noch eine weitere halbe Stunde ließ er sich über die näheren Einzelheiten aus, dann schickte er mich aus der Kajüte – er habe noch andere Vorbereitungen zu treffen. Ich solle nach den Pferden sehen und die Zeit nutzen, um mich auszuruhen.
Unsere Tiere befanden sich in einem improvisierten Seilgeviert an Deck. Stroh schützte die Planken vor ihren Hufen und Exkrementen. Ein verdrossen aussehender Maat besserte das Stück Reling aus, das Rußflocke in ihrer Panik losgetreten hatte. Er schien nicht zum Reden aufgelegt zu sein, und die Pferde waren so ruhig und zufrieden, wie man es unter den Umständen erwarten konnte. Ich unternahm einen kurzen Rundgang über das Deck. Wir befanden uns auf einer Schaluppe, ideal für den Handel zwischen den Inseln, ausladend, mit flachem Kiel. Die Bauweise ermöglichte es ihr, Flüsse hinaufzusegeln oder am Ufer aufzulaufen, ohne Schaden zu nehmen, aber in tiefem Wasser ließ sie einiges zu wünschen übrig. Sie mühte sich schwerfällig voran, mit einem Knicks hier und einem Schlenker dort, wie eine mit Bündeln und Taschen beladene Bauersfrau auf dem vollen Marktplatz. Ein Matrose gab mir ein paar Äpfel, die ich mit den Pferden teilen sollte, aber auch er war ziemlich mundfaul. Nachdem ich die Äpfel aufgeschnitten und verfüttert hatte, suchte ich mir bei ihnen einen Platz im Stroh, befolgte Chades Rat und ruhte mich aus.
Der Wind war freundlich gesonnen, und
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