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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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und was er so schmerzlich vermißte.
    Wir ritten die ganze Nacht hindurch. Chade ließ die Pferde verschnaufen, aber nicht so oft, wie Burrich es getan hätte. Er machte auch mehr als einmal halt, um nach Landmarken und Sternenkonstellationen auszuschauen und sich zu überzeugen, daß wir uns noch auf dem richtigen Weg befanden. »Siehst du den Berg da drüben, der sich schwarz vom Himmel abhebt? Ich kenne ihn selbst im Dunkeln. Bei Tag erinnert seine Form an die Kappe eines Butterhändlers. Keeffashaw nennt man ihn. Er muß westlich von uns bleiben. Weiter jetzt.« Ein anderes Mal hielt er auf einer Hügelkuppe an. Ich zügelte mein Pferd neben seinem Braunen. Chade saß hochaufgerichtet im Sattel, regungslos, wie aus Stein gemeißelt. Dann zeigte er mit ausgestrecktem Arm nach vorn. Seine Hand zitterte leicht. »Siehst du die Schlucht? Wir sind etwas zu weit nach Osten abgekommen. Beim Weiterreiten müssen wir das ausgleichen.«
    Für mich war die Schlucht so gut wie unsichtbar, ein dunkler Strich in der mondbeschienenen Landschaft. Ich fragte mich, woher er von ihr gewußt haben konnte. Vielleicht eine halbe Stunde später zeigte er nach links, wo auf einer Anhöhe ein einsames Licht blinzelte. »In Rocken ist für jemanden die Nacht schon zu Ende«, meinte er. »Wahrscheinlich knetet der Bäcker den Teig für die ersten Morgenbrötchen.« Er drehte sich im Sattel zu mir herum, und ich spürte sein Lächeln mehr, als ich es sah. »Kaum eine Meile von hier bin ich geboren worden. Komm, Junge, reiten wir. Der Gedanke an Piraten so nahe bei Rocken bereitet mir Unbehagen.«
    Der nahende Morgen färbte den Himmel grau, bevor mir wieder der Geruch des Meeres in die Nase stieg. Es war immer noch sehr früh, als wir von einer Kuppe auf den Ort Ingot hinunterschauten. Es war ein in mancher Hinsicht armseliges Kaff, der Hafen taugte nur bei günstiger Tide. Die übrige Zeit mußten die Schiffe weiter draußen ankern, und kleinere Boote dienten als Zubringer. Der einzige Grund, dem Ingot seinen Platz auf der Landkarte verdankte, war das Vorkommen von Eisenerz. Ich hatte nicht erwartet, ein blühendes Gemeinwesen vorzufinden, doch ebensowenig war ich auf die Rauchsäulen vorbereitet, die sich aus schwarzen Gebäudeskeletten in den Himmel kräuselten. Von irgendwoher ertönte das klagende Muhen einer Kuh, die darauf wartete, gemolken zu werden. Einige Boote dümpelten ein Stück vor der Küste, ihre Masten reckten sich in die Höhe wie abgestorbene Bäume.
    Der Morgen wanderte durch menschenleere Straßen. »Wo sind die Einwohner?« fragte ich mich laut.
    »Tot, gefangen oder immer noch in den Wäldern versteckt.« Chades Tonfall veranlaßte mich, ihn anzusehen. Ich war erstaunt über den Schmerz, der sich in seinen Zügen ausdrückte. Er bemerkte meinen Blick und zuckte die Schultern. »Du wirst das Gefühl mit den Jahren kennenlernen. Man erbt es mit dem Blut.« Mir blieb es überlassen, daraus klug zu werden, während er die Zügel aufnahm und sein müder Brauner sich widerstrebend in Bewegung setzte.
    Schritt zu reiten schien die einzige Vorsichtsmaßnahme zu sein, die Chade für notwendig hielt. Nur zu zweit, waffenlos, auf erschöpften Pferden, und wir näherten uns einem Ort, wo ...
    »Die Korsaren sind weg, Junge. Ein Piratenschiff läßt sich nicht ohne eine vollständige Rudermannschaft bewegen und manövrieren. Nicht in den Strömungen vor diesem Teil der Küste. Noch ein Rätsel. Woher hatten sie eine ausreichende Kenntnis der Gewässer hier, um den Überfall gefahrlos durchführen zu können? Und warum ein Überfall ausrechnet auf Ingot? Um Eisenerz zu rauben? Viel einfacher wäre es doch für sie, einen Erzfrachter zu kapern. Das ergibt keinen Sinn, Junge. Das ergibt einfach keinen Sinn.«
    In der Nacht war Tau gefallen, und über dem Ort hing der Gestank feuchter Asche. Hier und dort schwelte noch Glut unter den Trümmern. Vor einigen Ruinen lag Hausrat auf der Straße verstreut. Entweder hatten die Bewohner versucht, einige ihrer Habseligkeiten zu retten, oder die Piraten hatten die Gegenstände als Beute mitgeschleppt und dann den Spaß daran verloren. Eine Salzdose ohne Deckel, etliche Meter grüner Wollstoff, ein Schuh, ein zerbrochener Stuhl: stumme Zeugen der brutalen Vernichtung von Frieden und Geborgenheit. Ein düsterer Grimm ergriff von mir Besitz.
    »Wir kommen zu spät«, bemerkte Chade halblaut. Er zügelte den Braunen, und Rußflocke blieb neben ihm stehen.
    »Was ist?« fragte ich verwirrt, aus

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