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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Aufstieg begleiteten ihn. Ich selbst lief in die entgegengesetzte Richtung, um die gewonnene Zeit nicht zu verschwenden.
    In dem Moment, in dem ich den Burghof betrat, war mir der Grund für Edels Rage klar. Kettricken stand auf dem Bock eines Wagens, und alle Gesichter waren zu ihr emporgewandt. Sie trug dieselben Kleider wie am Abend zuvor. Bei Tageslicht konnte ich die Blutspritzer am Ärmel der weißen Pelzjacke sehen. Ein größerer Schwall hatte ihre purpurne Hose besudelt. Sie war gestiefelt und gespornt, bereit zum Aufbruch, sogar ihr Schwert trug sie an der Hüfte. Ich war bestürzt. Wie konnte sie nur? Ich war in einem Moment tiefer Stille erschienen. Jeder Mann, jede Frau schien den Atem anzuhalten und auf ihre nächsten Worte zu warten. Endlich fuhr Kettricken mit ihrer Rede fort. Sie brauchte kaum die Stimme zu erheben, so aufmerksam und schweigend lauschte die Menge.
    »Ich wiederhole es noch einmal, dies ist kein gewöhnlicher Jagdausflug«, sagte sie ernst. »Macht ein Ende mit der unziemlichen Fröhlichkeit. Legt euren Schmuck ab, jedes Abzeichen von Rang und Stellung. Laßt Demut in eure Herzen einziehen und bedenkt, was wir im Begriff sind zu tun.«
    Sie sprach immer noch mit dem Akzent ihrer Bergheimat, doch ein kritischer Teil meines Verstandes registrierte, wie sorgfältig ausgewählt jedes einzelne Wort war, wie ausgewogen jede Formulierung.
    »Wir ziehen nicht aus, um zu jagen«, wiederholte sie, »sondern um unsere Gefallenen heimzuholen. Wir ziehen aus, um jene zur Ruhe zu betten, die die Roten Korsaren uns geraubt haben. Die Roten Korsaren haben den Entfremdeten das Herz genommen und uns ihre Körper gelassen, damit sie uns quälen. Dennoch, die wir heute töten werden, sind von unserem Volk. Unsere Landsleute.
    Soldaten, nicht Haß soll eure Pfeile beflügeln, nicht Rachedurst eure Schwerter lenken. Wir alle haben genug gelitten, es soll jeder Tod heute so gnädig sein, wie der Tod nur gnädig sein kann, um unser aller willen. Wappnen wir uns, aus unserer Mitte zu entfernen, was uns vergiftet, mit ebensolcher Entschlossenheit und ebensolchem Bedauern, wie man ein brandiges Glied vom Körper trennt. Denn das ist es, was wir wollen – nicht Vergeltung, sondern Amputation, auf die Heilung folgt. Darum tut nach meinen Worten.«
    Sie verstummte und schaute einige Minuten still auf uns hinunter. Wie in einem Traum befangen, gerieten die Menschen in Bewegung. Jäger entfernten Federn und Bänder, Zierat und Schmuck von ihrer Kleidung und übergaben alles den Pagen. Die bramarbasierende Stimmung von eben war verflogen. Sie hatte die Fassade der Selbsttäuschung eingerissen und die Menschen gezwungen, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Ernüchterung war die Folge. Kettricken wartete schweigend und regungslos, und erst als sie sah, daß ihr wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit der Versammelten gehörte, ergriff sie erneut das Wort.
    »Gut«, lobte sie uns ernst. »Und nun hört mir aufmerksam zu. Ich will, daß man Pferdesänften anspannt oder Wagen, was immer ihr aus den Ställen für das Beste haltet. Sie sollen mit Stroh ausgepolstert sein. Nicht einen der Unseren werden wir den Füchsen zur Nahrung überlassen oder den Krähen. Wir bringen sie mit uns zurück, man wird ihre Namen aufschreiben und einen Scheiterhaufen vorbereiten, damit ihre sterbliche Hülle von den Flammen verzehrt werde, wie es für alle ehrenvoll im Kampf Gefallenen Brauch ist. Wo die Familien bekannt sind und in der Nähe wohnen, soll man sie zum Leichenschmaus laden. Jene, die weiter entfernt sind, erhalten Nachricht und den Dank, der allen gebührt, deren Blutsverwandte als Soldaten das Leben verloren haben.« Tränen liefen ihr ungehindert über die Wangen, in der blassen Wintersonne glitzerten sie wie Diamanten. Mit erstickter Stimme wandte sie sich an eine andere Gruppe. »Ihr Küchengesinde, Knechte und Mägde, deckt in der großen Halle die Tische und bereitet ein Totenmahl vor. In die kleine Halle bringt Wasser und Kräuter und reine Tücher, damit wir die Leichen waschen und würdig verhüllen können. Ihr anderen, vergeßt für heute eure gewöhnlichen Pflichten, bringt Holz und errichtet den Scheiterhaufen. Wir werden zurückkehren, um unsere Toten zu verbrennen und zu beweinen.« Sie schaute in die Runde und erwiderte die Blicke der Menschen, die zu ihr aufsahen. Dann wurden ihre Züge hart. Sie zog ihr Schwert und reckte es zum Schwur in die Höhe. »Doch wenn wir genug getrauert haben, werden wir sie rächen!

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