Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
noch einen Blick, aber ich für meinen Teil hoffte, daß niemand vom Gesinde die Auseinandersetzung der beiden Prinzen beobachtet hatte.
Es wurde ein langer und merkwürdiger Tag. Veritas besuchte König Listenreich in seinen Gemächern und vergrub sich dann in seinem Kartenzimmer. Wie Edel die Zeit herumbrachte, weiß ich nicht. In der Burg rührten sich alle Hände, um mit den Vorbereitungen fertig zu werden. Die Leute arbeiteten schnell und zielstrebig. Es wurden nur wenige Worte gewechselt, während sie eine Halle für ein Festmahl herrichteten und die andere für die Toten. Eine Veränderung fiel mir auf. Den Frauen, die sich der Königin gegenüber loyal gezeigt hatten, wurde jetzt selbst eine Ehrerbietung entgegengebracht, als wären sie Kettrickens Stellvertreterinnen. Und diese hochgeborenen Frauen hielten es auf einmal nicht für unter ihrer Würde, in die kleine Halle hinunterzugehen, um dort das Mischen von Wasser und Kräutern für die Leichenwäsche zu beaufsichtigen und das Auslegen von Handtüchern und Laken. Ich selbst half dabei, das Holz für den Scheiterhaufen herbeizuschaffen und aufzuschichten.
Am späten Nachmittag kehrten die Jäger zurück. Still und geordnet eskortierten sie die Leiterwagen mit den Toten. Kettricken ritt an der Spitze. Sie sah müde aus und verfroren auf eine Art, die nichts mit Kälte zu tun hatte. Es drängte mich, zu ihr zu gehen, doch ich ließ Burrich das ehrenvolle Amt, ihr das Pferd zu halten und beim Absteigen zu helfen. Ich bemerkte frisches Blut an ihren Stiefeln und an Federleichts Schulter – sie hatte von ihren Soldaten nicht zu tun verlangt, was sie selber nicht zu tun bereit war. Jetzt befahl sie ihnen mit ruhiger Autorität, sich zu waschen, Haar und Bart zu kämmen und sauber gekleidet in der Halle zu erscheinen. Als Burrich sich entfernte, um Federleicht in den Stall zu führen, stand Kettricken für kurze Zeit allein im Hof. Eine Traurigkeit, die grauer war als alles, was ich je empfunden hatte, strömte mir von ihr entgegen. Sie war müde. So unsagbar müde.
Ich trat zu ihr hin. »Wenn Ihr mich braucht, Hoheit«, sagte ich halblaut.
Sie drehte sich nicht um. »Was jetzt kommt, muß ich selbst tun. Aber bleib in meiner Nähe, falls ich deiner bedarf.« Niemand außer mir konnte die leisen Worte gehört haben. Dann schritt sie durch die Gasse, die sich für sie auftat. Köpfe neigten sich, als sie stumm und mit ernstem Blick für die Hilfe dankte. Schweigend durchquerte sie die Küche und nickte beim Anblick der vorbereiteten Speisen, ging weiter durch die große Halle, wo sie wieder mit einem Kopfnicken ihre Zufriedenheit mit dem Vorgefundenen bekundete. In der kleinen Halle blieb sie stehen, um ihre buntgestrickte Mütze abzulegen und die weiße Jacke, unter der ein schlichtes Hemd aus purpurnem Leinen zum Vorschein kam. Mütze und Jacke reichte sie einem Pagen, der ob der Ehre ganz verstört aussah. Sie trat an das Kopfende eines der Tische und begann, ihre Ärmel aufzukrempeln. Es wurde sehr still, alle Köpfe in der Halle waren ihr zugewandt. Sie blickte auf. »Bringt unsere Toten«, sagte sie einfach.
Die jammervollen Körper wurden hereingetragen, eine herzzerreißende Prozession. Ich zählte nicht, wie viel es waren. Mehr, als ich erwartet hatte, mehr, als aus Veritas’ Meldungen hervorgegangen war. Ich trug Kettricken das Becken mit warmem, nach Kräutern duftendem Wasser nach, als sie von einem Leichnam zum anderen ging, behutsam jedes verhärmte Gesicht wusch und gequälte Augen für immer schloß. Denen, die uns folgten, oblag es, die Toten zu entkleiden, ganz zu waschen, zu kämmen und in saubere Tücher zu hüllen. Irgendwann bemerkte ich, daß Veritas gekommen war. Er und ein junger Schreiber schritten an dem Tisch entlang, schrieben die wenigen bekannten Namen auf und machten über die anderen jeweils einen kurzen Vermerk.
Einen Namen konnte ich beisteuern. Kerry. Das letzte, was Molly und ich seinerzeit von unserem Freund hörten, war, daß er als Lehrling eines Puppenspielers Burgstadt verlassen hatte. Nun war er selbst am Ende seines Lebens wenig mehr als eine Marionette gewesen. Sein lachender Mund war für immer stumm. Als Knaben hatte wir zusammen Botengänge gemacht, um uns einen oder zwei Heller zu verdienen. Er war dabei gewesen, als ich zum erstenmal so betrunken war, daß ich mich übergeben mußte, und hatte gelacht, bis sein eigener Magen rebellierte. Er war es auch gewesen, der den stinkenden Fisch zwischen Schrägen
Weitere Kostenlose Bücher