Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Merle, du hast deine Harfe dabei, oder nicht? Könntest du nicht für uns spielen und singen?«
    »Ich habe eine Harfe«, berichtigte Merle sie verdrossen. »Ein armseliges Ding, verglichen mit meiner alten Freundin, die man mir in Mondesauge gestohlen hat.« Für einen Augenblick verlor ihr Gesicht jeden Ausdruck, und ihre Augen bekamen einen nach innen gekehrten Blick. Sah ich vielleicht so ähnlich aus, wenn die Gabe mich rief? Krähe strich ihr sanft übers Knie, aber Merle zuckte bei der Berührung zusammen. »Nun, ich muß mich bescheiden, und ich werde versuchen, ihr einige halbwegs passable Töne zu entlocken, wenn ihr glaubt, daß es hilft.« Sie griff hinter sich nach ihrem Packen und zog eine in Tücher gewickelte Knieharfe heraus. Von der Umhüllung befreit, entpuppte sie sich tatsächlich als ein trauriger Ersatz, wenig mehr als ein Rahmen aus rohem Holz mit darüber gespannten Saiten, ohne eine Spur von dem Adel und der Anmut ihres alten Instruments. Ein zweckdienlicher Gebrauchsgegenstand, weiter nichts. Doch Merle nahm das Instrument auf den Schoß und stimmte es. Gerade hatte sie die Einleitung zu einer alten Ballade aus den Marken angeschlagen, als eine schneebedeckte Schnauze sich unter der Zelttür hindurchschob.
    »Nachtauge!« begrüßte ihn der Narr.
    Ich habe Fleisch mitgebracht. Mit unüberhörbarem Stolz verkündet. Mehr als genug für alle.
    Wie sich herausstellte, hatte er nicht übertrieben. Seine Jagdbeute entpuppte sich als eine Art Wildschwein. Im großen und ganzen sah es aus wie andere Wildschweine, die ich in der Gegend um Bocksburg gejagt hatte, aber dieses hatte größere Ohren, und das Borstenkleid war schwarz-weiß gescheckt. Als Kettricken nach mir aus dem Zelt kam, stieß sie einen verwunderten Ruf aus und sagte, sie hätte erst wenige von diesen Geschöpfen zu Gesicht bekommen, aber man wüßte, daß sie in den Wäldern lebten, und sie galten als angriffslustiges, wehrhaftes Wild, das man am besten in Ruhe ließ. Sie kraulte den Wolf mit einer behandschuhten Hand hinter den Ohren und überschüttete ihn mit Lob für seinen Mut und sein Geschick, bis er sich im Schnee auf die Seite fallen ließ, überwältigt von seiner eigenen Großartigkeit. Ich schaute ihm zu, wie er sich voll Wonne im Schnee räkelte, während der Wind sein Fell plusterte, und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sofort sprang er auf, zwickte mich in aller Freundschaft in die Wade und verlangte, daß ich das Schwein für ihn aufbrach.
    Das Tier bot reichlich Fleisch. Kettricken und ich übernahmen das Ausweiden und Zerwirken, denn der Narr und Krähe froren erbärmlich, und Merle mußte ihre Hände schonen. Kälte und Feuchtigkeit waren Gift für ihre gebrochenen und noch im Heilungsprozeß begriffenen Finger. Mir machte es nichts aus. Ich hatte eine Beschäftigung, die meine volle Aufmerksamkeit erforderte und meine Gedanken daran hinderte abzuschweifen. Außerdem machte es mir Freude, selbst unter diesen Bedingungen mit Kettricken allein zu sein, denn beim Arbeiten Hand in Hand vergaßen wir beide Standesunterschiede und Vergangenheit und waren nur zwei Reisegefährten, die sich an einer ergiebigen Jagdbeute freuten.
    Wir schnitten das Fleisch in lange, dünne Streifen, die man über dem Glutbecken schnell und in großer Menge durchbraten konnte, damit keiner auf seine Mahlzeit lange warten mußte. Nachtauge erhob Anspruch auf das Gekröse und auf einen Vorderlauf, an dem es Knochen zu knacken gab. Letzteren schleppte er mit ins Zelt. Keiner beschwerte sich über den schneenassen, blutigen Wolf, der an einer Zeltwand lag und geräuschvoll sein Abendessen verspeiste, im Gegenteil: Man feierte ihn als Wohltäter. Ich warf ihm vor, unerträglich selbstzufrieden zu sein, und mußte mich von ihm darauf hinweisen lassen, daß ich noch nie ein solch kapitales Wild ohne Hilfe erlegt hatte, geschweige denn, es in einem Stück zum Rudel zurückgebracht. Die ganze Zeit über kraulte der Narr ihn hinter den Ohren.
    Bald erfüllte würziger Bratenduft die Jurte. Es war einige Tage her, seit wir frisches Fleisch gehabt hatten, und wegen der Kälte, die an uns zehrte, mundete das Fett besonders gut. Unsere Lebensgeister hoben sich, und beinahe vergaßen wir das Heulen des Sturms draußen, die Einsamkeit und die geheimnisvollen Mächte, die unser kleines Refugium von allen Seiten grimmig bedrängten. Nachdem unsere Bäuche voll waren, kochte Krähe Tee. Ich kenne nichts, das besser wärmt als gebratenes Fleisch,

Weitere Kostenlose Bücher