Die Legende vom Weltenverschlinger 1 - Angriff auf Maremora
stets griffbereit lagen. Allerdings musste erst die Musikmagie auf das Netz mit den eingearbeiteten, kleinen Schmucksteinen einwirken, damit der Schutz aktiv wurde.
Die Priesterin ging zum nördlichsten Bereich des Alkovens, wo ein kleines Podest mit einem Hocker wie eine Bühne wirkte. Eine hölzerne Stele mit einer Schale stand direkt vor der Bühne und die Priesterin legte das Netz, das in Form der drei Spiralen gewebt worden war, in die Schale. Unglücklicherweise hatte es sich aufgrund der grünen Schmucksteinchen ineinander verhakt und trotz ihrer Bemühungen gelang es der Lûta nicht, das Netz wieder zu entfalten. Ihre Wangen röteten sich vor Verlegenheit, sie murmelte eine Entschuldigung und eilte fort.
Haemvil lächelte nachsichtig. Es handelte sich vermutlich um eine noch junge und unerfahrene Dienerin Corinathallas. Als sie etwas zu hastig für eine Corinathalla-Priesterin zurückkehrte, hatte sie ein kleines, gebogenes Messer dabei. Mithilfe der Messerspitze gelang es der Lûta schließlich, den widerspenstigen Knoten zu lösen und das Haarnetz in der Schale auszubreiten.
Sie lächelte Haemvil entschuldigend zu und begab sich zum Hocker auf die Bühne. Das Messer störte und so steckte sie es in eine kleine Gürteltasche an ihrem Kleid. Sie ergriff die bereitliegende Gai, setzte sich und begann zu spielen, indem sie den Bogen elegant und hin-und herwiegend über die zwei Seiten des Instruments auf ihren Schenkeln führte.
Schwebende, beruhigende Klänge erfüllten den Alkoven und Haemvil genoss den Anblick der schönen Priesterin, wie sie anmutig die Gai spielte. Beschienen von dem unwirklichen, grünen Dämmerlicht, das durch die zahllosen Glasscheiben in der Kuppeldecke fiel, wirkte die Priesterin wie eine Magierin. Tatsächlich versetzte das Spiel die Lûta in einen entrückten Zustand, dem auch Haemvil bald nicht fern war.
Am Rande seines Bewusstseins bemerkte Haemvil eine Veränderung. Er fühlte sich wie betäubt und seine Gedanken wurden träge wie in einem Traum. Gehörte dies zu der Zeremonie? Das grüne Licht im Alkoven wurde dunkler, immer dunkler mit jedem Bogenstrich der Priesterin. Haemvil wollte etwas fragen, doch ihm war, als könne er sich nicht mehr bewegen. Auch die Priesterin bemerkte die Veränderung und runzelte die Stirn, als ihr harmonisches Spiel gestört wurde. Haemvil blickte in unendlicher Langsamkeit zur Kuppeldecke. Wieso wurde das Licht immer dunkler? Die bisher von dunkelgrünen Glasfensterchen besetzten Durchbrüche an der Kuppel waren inzwischen schwarz geworden. Eine Erinnerung zog an Haemvils Geist, doch er war nicht in der Lage, ihr zu folgen. Zu müde war er. Schwarze Spiegel. Wo hatte er schwarze Spiegel gesehen? Warum bekam er plötzlich Angst?
Das Spiel der Priesterin wurde dissonant und ihre Miene verzerrte sich angstvoll. Mit offenem Mund und geweiteten Augen starrte sie Haemvil an. Die Töne der Gai wurden schrill und kreischend, doch es schien, als könne sie ihr Spiel nicht beenden.
Der maremoranische Krieger kämpfte gegen den Nebel in seinem Geist und blickte die Statue der Göttin Corinathalla außerhalb des Alkovens an. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Sie hatte das Gesicht seiner Mutter, doch ihre Augen waren die einer Toten. Grauweiße Schlünde, die wie Tunnel unnennbaren Grauens die Kraft der Lebenden saugten.
Die Priesterin öffnete langsam den Mund, immer weiter, dass es schien, ihre Kiefer würden wie bei einer Schlange ausgehakt. Dann ertönte ihr Schrei, erst dunkel wie eine tiefe Männerstimme, dann immer schneller und mit ihrem Schrei kam die Realität zurück.
Ohne innezuhalten, sprang die Priesterin schreiend auf, lief kreischend auf Haemvil zu und holte weit mit ihrer Gai aus. Der Krieger war so schockiert, dass er sich nicht rühren konnte, und duckte sich erst im letzten Moment. Die hölzerne Gai zersplitterte an seiner Schulter und warf ihn zurück. Hysterisch blickte die Lûta mit herumwirbelnden Haaren wild um sich, dann erinnerte sie sich ihres Messers, zog es hastig aus ihrer Gürteltasche und stürzte sich erneut auf Haemvil, der noch auf dem Boden kniete. Die auf sein Auge zurasende Messerspitze aktivierte Haemvils Überlebensreflexe. Er bekam das Handgelenk der Priesterin zu fassen und das Messer stoppte eine halbe Armlänge von seinem Auge entfernt. Die Lûta presste die Lippen zusammen und ihre Augen quollen ihr beinahe aus den Höhlen, als sie mit aller Kraft versuchte, das Messer in Haemvils Auge zu versenken.
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