Die Legende von Skriek 1 - Das Attentat
mottenzerfressene Teppiche. Breite Treppen mit marmornen Geländern führen nach oben. Putz bröckelt von den Wänden. Spinnweben spannen sich über Kästen und Simse. Und überall ist Staub.
Die Drei betreten den großen Ratsaal. Ein modriger Geruch, entstanden in Jahrhunderten, erfüllt die Luft. Rostige Schwerter und Hellebarden hängen an den Wänden. Samtene Vorhänge verrotten. Die bunten Glasfenster sind eingeschlagen und Vögel haben sich eingenistet. Der goldenen Thron ist mit Taubenkot bedeckt. Ein großer, ovaler Tisch steht in der Mitte des Raumes. Seine Platte hat Sprünge und Risse. Sieben Stühle stehen rund um den Tisch. Sie sind ohne Ausnahme morsch und faulig.
In diesem Ratsaal haben früher die Könige und Königinnen von Kalmania geherrscht. Gesetze verabschiedet, Verträge geschlossen, Handelsbeziehungen aufgebaut, Hochzeiten vereinbart und Kriegszüge angeordnet. Doch das ist lange vorbei. Geblieben sind nur Verfall und Asche.
Der Zauberer hebt erst seine rechte Hand, dann die linke. Ein Licht erstrahlt. Staub und Unrat verschwinden, ebenso die Risse und Sprünge in dem Tisch. Die Stühle knarren. Ihr Holz strafft sich, die Sitzbezüge erscheinen wie neu.
Der Herrscher nickt. »Nun ist es angemessen.« Seine Stimme klingt kratzig und spröde, ganz so, als ob er viele Monate kein Wort gesprochen hätte.
Die Drei setzen sich.
Meine Mutter kann erneut ihre Kraft spüren und erzittert in ihrem Traum.
»Meine Legionen stehen bereit«, sagt der Herrscher. »Sie können jederzeit zuschlagen.«
»Ist das klug?«, zweifelt die Hohepriesterin. Sie klingt dunkel, ihr Timbre ist rauchig. »Du brauchst deine Soldaten, um die Grenzen zu sichern und um deine Länder zu befrieden. Es gibt immer noch Rebellen und Aufständische. Und der Emporkömmling aus dem Süden ist noch nicht besiegt.«
»Die Legion ist nur eine Möglichkeit«, erwidert der Herrscher. »Es gibt Alternativen.«
»Vier Wege«, sagt der Zauberer. Er spricht leise, weich, flüsternd. »Einen direkten mit deinen Legionen. Und drei indirekte, verschlungene. Zwei davon kurz, einer lang.«
Die Hohepriesterin legt ihre Dolche auf die Tischplatte. »Meine Meuchlerinnen sind bereit für den einen Weg.«
Der Herrscher starrt sie durch die Augenschlitze seiner Maske an. »Sind sie gut genug?«
Anmutig neigt die Hohepriesterin den Kopf. Ihr goldener Stirnreif funkelt. »Die Zeit wird es weisen.«
»Die Zeit!« Der Herrscher spuckt die beiden Wörter beinahe aus.
»Wir haben viel davon«, meint der Zauberer mit seiner leisen Stimme. »Mehr als je ein Wesen vor uns.« Er berührt einen blauen Siegelring, der auf seinem linken Ringfinger steckt.
Der Herrscher greift zu seinem bronzenen Armreif. Die Hohepriesterin umfasst ihre silberne Halskette.
»Die Reliquien haben uns über all die anderen erhoben«, fährt der Zauberer fort, »und uns reich beschenkt. Mit Wissen, Macht, Magie. Und vor allem mit Zeit«
»Dennoch fehlen noch zwei«, entgegnet der Herrscher.
»Wir werden sie uns holen«, sagt die Hohepriesterin.
»Nun gut.« Der Herrscher legt seine Handflächen aneinander. »Ein kurzer Weg sind die Meuchlerinnen. Der andere kurze Weg bedeutet Diebstahl.« Er öffnet seine Hände. »Also wird die Gilde der Diebe von mir hören. Sie wird Unsummen von Gold verlangen.«
»Ist das ein Problem?«, fragt der Zauberer.
»Nein.« Der Herrscher schüttelt beinahe unmerklich den Kopf. »Aber ich bezweifle, dass die Gilde über geeignete Frauen verfügt.«
Die Hohepriesterin beugt sich nach vorne. »Meine Göttin Haspanarte ist eine Frau. Und mächtiger als all die anderen Götter.«
»Ich zweifle weder an dir, noch an deiner Göttin«, sagt der Herrscher. »Ich zweifle an den Menschenfrauen.«
»Trotzdem ist es einen Versuch wert«, wirft der Zauberer ein.
Die Drei sehen sich an. Die Luft knistert von all der Magie.
Und meine Mutter versteht.
Der Herrscher möchte Macht und Ordnung.
Der Zauberer Frieden und Harmonie.
Und die Hohepriesterin Glauben und Gehorsam.
Starke Gründe. Gründe, für die die Drei bereit sind, alles zu tun. Auch zu morden?
Meine Mutter hat Angst. Sie will nicht mehr träumen.
Da ergreift erneut der Herrscher das Wort. »Und der lange Weg?«
Die Hohepriesterin lächelt. »Ich habe nachgedacht ...«
Der Zauberer erwidert ihr Lächeln. »Ich auch.«
Meine Mutter erwacht. Sie zittert am ganzen Körper. Ihre Hände beben. Flehentlich ruft sie nach unserer Göttin Bahluna.
Ich öffne meine Augen. Das Rufen
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