Die Legenden der Vaeter
hatte er ein Schreibheft dabei, in das er die Namen des Wachpersonals im Gefängnis von Stargard notiert hatte, zusammen mit Angaben über die erbärmlichen Haftbedingungen, ein anderes Mal präsentierte er eine Liste mit Einzelheiten über militärische Einheiten, die in Lublinitz stationiert waren, und erklärte, dass er sich |191| bei einem Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes ein Mikrofon und ein winziges Tonbandgerät besorgen wolle.
Józef, darin waren sich die Zuträger des Sicherheitsdienstes einig, schien systematisch vertrauliche Informationen zu sammeln und ließ auch keinen Zweifel daran, was er mit seinen Erkenntnissen anzufangen gedachte. Einmal schlug er beim Würfeln in der Kneipe vor, Verbindung zum französischen Konsulat in Kattowitz aufzunehmen, um dort gegen ein entsprechendes Entgelt Informationen zu verkaufen. Dann wiederum erwähnte er einen in Polen stationierten Offizier der Roten Armee, der angeblich für einen westlichen Geheimdienst arbeitete und mit dem er ins Geschäft kommen wolle. Er ließ allerdings offen, ob er jemals wirklich in Kontakt zu ihm getreten sei, und auch die Abhöreinrichtung schien er nie von den Briten erhalten zu haben.
In der Akte Nr. 7272, die der Sicherheitsdienst in Lublinitz in den fünfziger Jahren angelegt hatte, war viel Verdächtiges dokumentiert. Konkrete Hinweise auf strafbare Handlungen fehlten. Józef tat das, was er schon häufig gemacht hatte. Er machte sich ein bisschen größer und bedeutender, als er wirklich war. Nachdem er vierzehn Monate im Gefängnis von Stargard verbracht hatte, weil er als ehemaliger Angehöriger der Exilarmee im neuen Polen als Verräter galt, bemühte er sich nach seiner Entlassung, die Rolle, die die kommunistischen Machthaber für ihn vorgesehen hatten, auch auszufüllen. In einer verrauchten Kneipe erfand er Spionagegeschichten und machte sich selbst zum feindlichen Agenten und Konterrevolutionär. Darüber hinaus behauptete er die kuriosesten Dinge über seine Vergangenheit. Unter anderem setzte er eine weitere Version der |192| Geschichte in Umlauf, die er dem Major in Polkemmet House erzählt hatte, nur dass er diesmal behauptete, bereits vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs aus Polen nach Deutschland gegangen zu sein, um 1939 im Gefolge der Wehrmacht in sein Heimatland zurückzukehren.
Erstaunlich war eigentlich nur, dass beim Sicherheitsdienst zunächst keine Zweifel aufkamen, genau wie der Hauptmann der polnischen Exilarmee damals in Whitburn die Geschichte über die geplante Entführung eines deutschen Flugzeuges nicht in Frage gestellt hatte. Józef war ein Lügner, aber einer, dem man gern glaubte.
Das bisschen Geld, das Józef mit Hilfe der Schuldscheine eingetrieben hat, reicht nicht lange. 1952 beginnt er wieder zu arbeiten. Er fängt für 800
złoty
im Monat in Oppeln als Handlanger beim
Okręrgowe Przedsiębiorstwo Budowlane
an, dem staatlichen Bauunternehmen Polens. In den wiedergewonnenen Gebieten, das ist die offizielle Bezeichnung für die westlichen Teile des Landes, die vor dem Krieg zu Deutschland gehörten, hat der Aufbau begonnen. Józef verbringt Monate auf einer Baustelle in Colonnowska. Die Stahlhütte, in der Augustyns und Marias Väter vor dem Ersten Weltkrieg gearbeitet hatten, wird erweitert. Dann kommt er nach Oppeln. Dort werden Mietshäuser renoviert, um in der gegen Kriegsende zerstörten Stadt neuen Wohnraum für die Umsiedler aus dem Osten zu schaffen, und am Rand der Stadt entstehen die ersten Neubausiedlungen.
Józef teilt sich in Oppeln ein Zimmer mit Arbeitskollegen. Am Freitag fährt er mit dem Bus nach Steblau, drückt seiner Mutter einen Sack mit schmutziger Wäsche in die |193| Hand und verbringt die nächsten zwei Tage in der Kneipe. Er trinkt, redet und erfindet Geschichten. An einem Abend spricht er sogar davon, eine Bank zu überfallen und sich einer Gruppe von Partisanen anzuschließen, die sich in den Wäldern bei Tschenstochau verbirgt und Attentate auf Parteifunktionäre verübt.
Immer ist ein Spitzel unter den Zuhörern, und jeder Satz von Józef landet in seiner Akte. Protokolle und Dienstanweisungen werden geschrieben, und die Kreisstelle des Sicherheitsdienstes in Lublinitz leitet ihre Erkenntnisse regelmäßig an die nächsthöhere Dienstelle in Kattowitz weiter. Am 8. September 1952, nach den Hinweisen auf die Partisanen in Tschenstochau, setzt
kapitan
Jan Gajek um 18 Uhr ein kurzes Fernschreiben an die Kollegen in Oppeln auf. Es enthält nur vier
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