Die Legenden der Vaeter
Steblau aus in die Stadt, um Laster zu entladen und Milchkannen über den Hof zu wuchten. Seinem Vorarbeiter ist es egal, dass Józef in der Pause ein paar Schlucke aus der Flasche nimmt, die er in einem Haufen Putzlumpen versteckt hat, doch als er jeden Morgen später in der Molkerei eintrifft und schließlich zwei Tage lang gar nicht mehr kommt, verliert er die Arbeit wieder.
Józef ist das nur recht. Er will die Gewinne aus einem Kreditgeschäft einstreichen, das er während der Besatzungszeit betrieben hat. Er hatte damals mit seinen Schwarzmarkt-Geschäften gut verdient, so dass er gelegentlich anderen polnischen Soldaten Geld geliehen hatte. Da er nicht wusste, ob er einen der Soldaten, die mit ihm in Fürstenau stationiert waren, nach dem Ende der Besatzungszeit jemals wiedersehen würde, hatte er darauf bestanden, dass die Familien der Kameraden einen Schuldschein in Steblau hinterlegten. Erst wenn seine Mutter ihm geschrieben hatte, zahlte Józef die entsprechende Summe aus. Das Verfahren |183| war zeitraubend, doch zuletzt waren die Schulden zu einem stattlichen Betrag angewachsen. Marianne hatte er damals nichts von diesen Geldgeschäften gesagt. Es war eine Rücklage für den Fall, dass er eines Tages doch wieder nach Polen gehen würde, mit ihr, vielleicht auch ohne sie.
Seine Mutter hat die Schuldscheine unter einem Stapel Wäsche im Kleiderschrank aufbewahrt. In Fürstenau hatte Józef amerikanische Dollar und britische Pfund verliehen, die er jetzt nach dem inoffiziellen Wechselkurs in
złoty
umrechnet, und als er die Beträge auf einem Blatt aufaddiert, stellt er fest, dass er ein reicher Mann geworden ist. Er setzt sich in den Zug und reist tagelang kreuz und quer durch Oberschlesien, auf den Strecken, auf denen sein Vater einst die Fahrkarten kontrolliert hat. Er fährt über Guttentag, heute Dobrodzień, nach Rosenberg, das jetzt Olesno heißt, und weiter nach Norden bis nach Gorzów Śląski, früher Landsberg, über Krzepice, auf Deutsch Kschepitz, nach Tschenstochau und dann wieder zurück nach Lublinitz, um sich am nächsten Tag in das oberschlesische Industriegebiet aufzumachen. Er besucht Tarnowskie Góry, früher Tarnowitz, Gleiwitz, heute Gliwice, Beuthen, jetzt Bytom, und Siemianowitz, die Stadt, in der er seine Kindheit verbracht hat.
Die Rechnung geht nicht auf. Józef verbringt ganze Tage damit, in den Städten, in denen sämtliche Straßen nach 1945 ihre Namen gewechselt haben, die Adressen aufzuspüren, die auf den Schuldscheinen angegeben sind. Er klappert Mietshäuser ab, läuft durch Bergarbeitersiedlungen und legt lange Wege zu entlegenen Bauernhöfen zurück, nur um immer wieder festzustellen, dass kaum einer der Soldaten, denen er in Fürstenau mit Geld ausgeholfen hat, zurück nach |184| Polen gekommen ist. Meist trifft er nicht einmal mehr Verwandte an, nur Nachbarn, die ihm erklären, dass die gesamte Familie nach dem Krieg in einen der Züge in Richtung Westen gesetzt worden war. In Cielmice, einem Dorf bei Tychy, früher Tichau, sind die Eltern eines Soldaten noch da, sie bitten ihn sogar auf ein Glas herein, aber nur, um ihm mit einem traurigen Lächeln zu erklären, dass ihr Sohn nach der Entlassung aus der Armee nach Australien gegangen sei und sie keine Ahnung hätten, wie sie die geliehenen Beträge zurückzahlen sollen. Ein anderes Mal droht ihm der Bruder eines Fallschirmjägers eine Tracht Prügel an, und in einem der kleinen Dörfer in der Nähe von Gleiwitz, die früher direkt an der Grenze lagen, geht ein Bauer mit einer Mistgabel auf ihn los.
Vor Gericht sind seine Schuldscheine nichts wert, das weiß Józef. Ein alter Schneider hat Mitleid mit ihm und näht ihm einen Anzug, als Ausgleich für die fünf Dollar, mit denen Józef seinem Sohn in Deutschland ausgeholfen hat, und wenn er von seinen Fahrten nach Hause kommt, hat er meist gerade genug Geld dabei, um in Steblau ein paar Runden zu bezahlen.
Er geht am liebsten in die
gospoda spółdzielcza.
Die Kneipe gehört zur Genossenschaft, einem Zusammenschluss der Bauern, der noch aus der Zeit vor dem Krieg stammt und von der sozialistischen Regierung zu neuem Leben erweckt worden ist. Sie liegt nicht weit vom ehemaligen Gutshof entfernt, auf halbem Weg zwischen Steblau und Lublinitz, und ist im gleichen Gebäude untergebracht wie der Landhandel. Bauern trinken hier ein Glas, wenn sie mit dem Pferdefuhrwerk kommen, um Futter oder Saatgut zu holen, und die Arbeiter, die aus Steblau, Lubecko und |185| Gelnica
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