Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
nach Norden zu schicken. Lasst mich noch zwei Dinge erwähnen, bevor Ihr mir widersprecht. Zuerst einmal denke ich nicht, dass die dordovanischen Kommandanten ernstlich glauben, sie könnten ihre Bäckerjungen auf freiem Feld in einer Schlachtreihe von einer Meile Länge besser einsetzen als hier – ob mit oder ohne Unterstützung aus Lystern. Zweitens tun sie in dem Moment, da sie sich von den Mauern zurückziehen, Xetesk gegenüber ihre Absichten laut und deutlich kund. Sie überlassen dem Dunklen Kolleg die Initiative und verurteilen alle, die gerade drinnen sind, zum Tode – wir wollen uns da nichts vormachen. Dystran ist
klug und hat gute Berater. Sobald er weiß, was wir vorhaben, ist es mit der Heimlichkeit vorbei. Vergesst auch nicht, dass der Druck an zwei Toren abnimmt, wenn die Soldaten sich zurückziehen. Das erlaubt es Xetesk, die Besatzung an den anderen Toren zu verstärken, was ihnen vermutlich im Osten und Süden den Sieg bescheren und damit unsere Kräfte weiter schwächen wird.«
»Angenommen, wir ziehen uns nicht mit ihnen zurück«, sagte Blackthorne.
Darrick stand auf und schritt unruhig hin und her, ohne ihm zu antworten.
»Was denken die sich eigentlich? Die einzige Möglichkeit ist, Dystran zu zwingen, seine Kräfte aufzusplittern. Die Folgen einer Niederlage auf offenem Feld wären erschreckend. Er hätte auf dem Weg nach Julatsa keinen Gegner mehr vor sich, und das wäre erst der Anfang.«
»Sie denken zuerst an ihr eigenes Wohl«, sagte Blackthorne leise.
»Indem sie die am leichtesten zu haltenden Stellungen aufgeben? Indem sie den Zusammenhalt der Belagerung zerstören? Sie geraten in Panik. Wenn ich in Lystern etwas zu sagen hätte, dann würde ich mich ihnen stellen, ob wir nun in der Unterzahl sind oder nicht.«
»Aber wir sind nicht Lystern«, sagte Blackthorne, »und das ist der springende Punkt.«
»Ich sollte mit ihnen reden«, sagte Darrick. »Sie müssen das doch einsehen.«
»Setz dich, Ry«, sagte der Unbekannte. »Vergiss nicht, dass ein Todesurteil gegen dich verhängt wurde.«
Darrick hielt inne. »Aber sie müssen doch …«
»Nein«, sagte der Unbekannte. »Du bist nicht der Mann, der jetzt verhandeln kann. Du gehörst zum Raben. Setz dich.«
Darrick setzte sich widerstrebend. Er war nicht daran gewöhnt, Befehle zu befolgen, wollte aber auch nicht so weit gehen, die Autorität des Unbekannten infrage zu stellen.
»Wir haben genau die gleichen Argumente vorgetragen«, erklärte Izack. »Die Dordovaner sehen jedoch nur, dass ihre Kräfte am Nordtor überrannt werden könnten, und dass Xetesk danach freie Bahn nach Norden hätte.«
»Was kann man tun?«, fragte Blackthorne. »Es ist keine rein militärische Entscheidung mehr. Es geht hier auch um Politik und die relative Stärke der noch existierenden Streitkräfte der Kollegien. Kein Kolleg will riskieren, in Zukunft vor den eigenen Toren angegriffen zu werden. So weit sollte es sowieso nicht kommen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Darrick machte eine resignierte Geste. »Wisst Ihr noch, wie wir alle gemeinsam gegen die Wesmen gekämpft haben? Das sollte das Vorbild sein, zumal wir alle überlebt haben.«
Er dachte angestrengt nach, und die anderen sahen ihm schweigend zu. Es dauerte nicht lange, bis er seine Entscheidung getroffen hatte.
»Eigentlich können wir nur versuchen, die Dordovaner zu beruhigen. Keinesfalls darf Xetesk erfahren, dass wir mit einem Ausbruchsversuch rechnen, aber mit einer Neuformation der Truppen im Norden würden wir es ihnen verraten, und dann werden sie keinen Zweifel mehr haben. Sie werden angreifen und hoffen, es an Ort und Stelle ein für alle Mal zu erledigen. So könnten sie auf einen Streich den Krieg entscheiden. Ich schlage Folgendes vor. Es ist ein Risiko, das einzugehen sich jedoch lohnt. Wir ziehen alle Reserven im Süden und Osten ab und verlegen sie nach Norden, bis hier nur noch ein kleiner Rest von lysternischen Truppen kämpft, der von Baron Blackthornes Männern und den Al-Arynaar unterstützt wird, nachdem sie einen Tag
ausruhen konnten. Das können wir leise und im Schutze der Nacht erledigen. Izack, Ihr wisst, wie man so etwas anpackt, deshalb will ich Euch keinen Vortrag halten. Baron, ich glaube, es liegt nun bei Euch, mit den dordovanischen Kommandanten zu reden und Euren Standpunkt zu vertreten. Sie respektieren Euch, und was noch wichtiger ist, wenn Ihr ihnen eine Vorstellung von den Zahlenverhältnissen geben könnt, dann könnt Ihr ihnen damit auch
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