Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
Wand emporkletterte. Die Witterung hatte kleine Risse in die Steinwand gefressen. Die meisten waren von Moos bedeckt, doch Duele fand sie alle, bohrte die Finger hinein und hielt sich fest. Auch mit den Füßen fand er schmale Spalten und presste die weichen Lederstiefel hinein. Ein Zeh reichte aus, um ihm genug Halt zu geben, damit er sich weiter hinaufschieben konnte.
Obwohl er schon viele solcher Kletterpartien beobachtet hatte, sah Auum ihm bewundernd nach. Tual, die Herrin der Waldbewohner, hatte ihn mit einer Geschicklichkeit gesegnet, mit der sich nur wenige messen konnten. Noch nie hatte Auum ihn zögern sehen.
Die Seilrolle wickelte sich stetig ab. Evunn ging in die Hocke und verband sein eigenes Seil mit dem von Duele. Das balaianische Seil war grob, dick und schwer. Fest genug zwar, aber unbequem. Zwei Seile von jeweils mehr als dreißig
Fuß Länge reichten aus, um das Ende an den Haken zu befestigen, die sie bei früheren Besuchen dicht unter der Krone in die Mauer getrieben hatten. Wenn das Seil dort oben befestigt war, baumelte es unten kopfhoch über dem Boden. Für einen Elf war es leicht, daran hochzuklettern, doch Auum fragte sich nicht zum ersten Mal, wie es den Menschen ergehen würde.
Über ihm klebte Duele an der Wand wie eine Eidechse unter einem Ast. Er befand sich jetzt am steilsten Punkt des Überhangs, nur noch einen Klimmzug unter einem der Haken, die sie von lysternischen Waffenschmieden hatten anfertigen lassen. Er richtete ein rasches Gebet an Yniss, der Duele beschützen sollte. Seine Sorgen waren überflüssig. Duele löste mit einer Hand das Seil vom Gürtel, schwang sich geschickt zum Haken hinüber, legte die vorbereitete Schlaufe darüber und kam mühelos wieder herunter.
»Gut gemacht«, sagte Auum. »Heute Nacht benutzen wir drei Aufstiegspunkte gleichzeitig. Überprüft noch einmal eure Waffen, eine weitere Gelegenheit bekommt ihr nicht.«
Die Tai prüften die Schneiden ihrer Klingen, die Spannung ihrer Bogensehnen, die Befiederung ihrer Pfeile und die Halbmonde ihrer flüsternden Jaqrui. Mit jedem Herzschlag tauchten elegant und lautlos weitere TaiGethen aus dem Gras auf, als kämen sie aus unterirdischen Gängen.
Duele und Evunn übernahmen die Seile von vier weiteren Tai, Evunn knotete sie zusammen, und Duele befestigte die Enden am Gürtel. Rasch stieg er, mit kräftigen und fließenden Zügen, am ersten Seil Hand über Hand empor. Einen Fuß unter dem Haken hielt er inne, klemmte das Seil, an dem er hing, zwischen die Beine, nahm das freie Ende des zweiten Seils vom Gürtel und beugte sich vor. Unter ihm schwang Evunn das Seil wie ein Pendel hin und her. So näherte sich Duele mit jedem Schwung dem nächsten
Haken, legte beim vierten Pendeln die Seilschlinge darüber und wechselte das Seil, um anschließend die Prozedur noch einmal zu wiederholen. Am äußersten der drei Aufstiegspunkte blieb er schließlich hängen und wartete.
Auum wandte sich an die Tai-Zellen, die sich unter dem Überhang und außer Sicht der xeteskianischen Wächter versammelt hatten.
»Steigt in der Tai-Ordnung hinauf«, sagte er. »Wartet, bis diejenigen, die vor Euch geklettert sind, das Seil frei gemacht haben, und klettert oben erst hinüber, wenn ihr ein Zeichen bekommt. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Der Wehrgang wird links und rechts gesichert, bevor wir auf der anderen Seite absteigen und uns zum Sammelpunkt begeben. Heute Nacht werden wir das Aryn Hiil zurückholen. Heute Nacht werden wir uns für das rächen, was man uns angetan hat. Möge Yniss über euch wachen, möge Tual eure Hände leiten, und möge Shorth eure Feinde rasch zu sich nehmen. Tai, wir beginnen jetzt.«
Auum kletterte am mittleren Seil hinauf, Evunn nahm das linke. Von den Haken aus war es nur noch eine Armeslänge bis zur Kante des Überhangs. Die Architekten hatten es sich nicht nehmen lassen, unter den Zinnen einen schmalen Sims und einfache, schmückende Muster in den Stein zu schlagen. Diese Unebenheiten waren eine große Hilfe.
Auum übernahm die Führung, stieß sich von der Wand ab und hielt sich mit den Fingern am Sims fest. Dann ließ er mit der anderen Hand los und hing einen Augenblick siebzig Fuß hoch frei in der Luft, bis er mit der zweiten Hand am Stein einen Halt fand und sich sofort mit dem ganzen Körper hochzog. Er langte noch oben, grub die Fingerspitzen in eines der Reliefs und bekam einen Fuß auf die Kante. Der zweite Fuß folgte, und schließlich richtete er
sich, eng an die Mauer
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