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Die Legenden des Raben 06 - Heldensturz

Die Legenden des Raben 06 - Heldensturz

Titel: Die Legenden des Raben 06 - Heldensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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selbstgefällig geworden. Faul. Sie hatten die Zeichen nicht erkannt. Die wachsende Zahl der Dämonen, das plötzliche Erscheinen der Gleiter an jenem Morgen vor drei Tagen. Sie hatten es sich nicht zusammengereimt.
    Nun saßen sie beisammen und konnten nur noch den Turm ihr Eigen nennen. Sie hatten – und man konnte nur beten, dass es ein vorübergehender Zustand war – den Zugang zu allen Tunneln verloren und verfügten nur noch
über einen einzigen Brunnen. Wenn sie ihren Bereich nicht bald wieder ausdehnen konnten, mussten sie damit rechnen, einfach zu verhungern. Jedem in der schwindenden Schar von Überlebenden war dies bewusst.
    »Mylord?«
    Heryst nahm die Hände vom Gesicht und sah Kayvels krankes, bleiches Gesicht vor sich. Sein alter Freund starb jeden Tag ein wenig mehr. Bei den ertrinkenden Göttern, es ging ihnen allen nicht besser, aber der alte Mann hatte sich in den letzten Tagen eine Infektion zugezogen und schwand rasch dahin.
    »Setzt Euch, Kayvel. Bei den Göttern, Ihr müsst Euch ausruhen.«
    Heryst rückte den Stuhl neben sich zurecht. Kayvel ließ sich dankbar darauf sinken und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Mitten auf der Tischfläche verdeckten die Wachen völlig die drei Magier, die den Spruch für den Kaltraum wirkten und sie alle vor dem sicheren Tod schützten.
    »Wir brauchen einen Plan«, sagte Kayvel leise. »Die Leute müssen Eure Stimme hören und Eure Kraft spüren.«
    »Glaubt denn irgendjemand, davon wäre noch etwas übrig?« Wieder einmal spürte Heryst den schmerzhaften Stich des Zweifels, der allzu vertraut geworden war.
    »Lasst sie so etwas niemals hören. Ihr seid der Anführer. Sie lieben und achten Euch. Vergesst das nie.«
    Heryst nickte. »Das weiß ich«, erwiderte er. »Manchmal ist es schwer. Seht nur, wohin ich sie geführt habe.«
    Seine Geste umfasste den ganzen Ratssaal, und was sie hier sahen, wiederholte sich in allen Räumen des Turms, über die sie noch verfügten. Schmutz, Staub und Abfall bedeckten den Boden. Die abgestandene Luft roch stark
nach Laternenöl und Krankheit. Alle Männer, Frauen und Kinder hatten Läuse, sie trugen wenig mehr als Lumpen, und sie hatten das strähnige Haar, den mutlosen Gesichtsausdruck und die gebeugte Haltung von Menschen, die wussten, dass es mit ihnen zu Ende ging. Heryst selbst sah nicht besser aus. In einer Latrine gab es einen Spiegel, den aber höchstwahrscheinlich niemand mehr benutzte.
    »Ja«, stimmte Kayvel zu. »Überall ist es schmutzig, wir sind krank, und bald werden wir alle auf die eine oder andere Weise sterben. Da draußen wartet die einzige Alternative. Wollt Ihr wirklich die Frage stellen, welchen Weg diese Menschen bevorzugen würden?«
    »Aber schiebe ich ihren Tod nicht nur ein wenig hinaus? Kayvel, Ihr seid Realist. Ihr wisst, was mit Euch geschieht. Wenn Ihr eine ansteckende Krankheit habt, nun ja …«
    Kayvel nickte. »Mit dieser Gefahr haben wir seit dem ersten Tag gelebt. Aber nichts bringt sie schneller um als der Mangel an Glaube und Hoffnung.«
    Heryst seufzte. »Was soll ich ihnen nur berichten? Sie sind nicht blind, und wir werden jeden Tag ein wenig schwächer. Was soll ich sagen? Dass sie weitermachen und auf Rettung hoffen sollen? Dass die Dämonen sich eines Tages langweilen und von selbst wieder verschwinden werden? Was habe ich ihnen anzubieten?«
    Er fühlte sich hilflos. Er hätte geweint, aber seine Augen waren ebenso ausgetrocknet wie sein Mund. Wie konnte er den Menschen Hoffnung geben, wenn er selbst keine hatte?
    »Ihr müsst ihnen ein Ziel geben, und dieses Ziel muss mehr sein als durchzuhalten, bis sie überrannt werden. Vor vier Tagen dachten wir noch, wir wären in Sicherheit,
aber wir haben uns geirrt. Seht nur, welche Angst sie haben. Spürt sie und tut etwas dagegen.«
    Heryst sah Kayvel an, bemerkte das verblassende Licht in den Augen seines Freundes und erkannte, dass er dem Sterbenden etwas geben musste, das dieser mitnehmen konnte.
    »Meint Ihr denn, wir sollten versuchen, das Kolleg zu verlassen?«
    »Wenn wir bleiben, ist der Ausgang gewiss, Heryst.« »Verdammt.« Heryst rieb sich mit den Händen übers Gesicht. »Ihr wisst doch genau, dass ich sie nicht zwingen kann, so etwas zu versuchen. Bei den brennenden Göttern, einige sind zu schwach, um sich zu bewegen.«
    »Redet mit ihnen«, drängte Kayvel ein wenig vorwurfsvoll. »Euer Schweigen ist vernichtend.«
    »Ja. Ja, das weiß ich«, schnaufte Heryst. »Danke.«
    »Ich bleibe mit allen hier, die

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