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Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Titel: Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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einer Drehung.
    Ich schrie aus voller Kehle. Jeder im Raum zuckte zusammen, auch Pol, aber sein Messer war zu dem Zeitpunkt schon ein gutes Stück von meinem Handgelenk entfernt. Ich mühte mich ab, seinem Griff zu entkommen, aber er hatte die Hand fest um meinen Unterarm geschlossen und umklammerte ihn wie ein Schraubstock. Ich versuchte, mit der rechten Hand seine Finger zu lösen, aber sie rührten sich nicht. Während ich weiter schrie und ihm die Finger verdrehte, legte Pol wortlos sein Messer auf den Tisch und griff in den Verbandskasten. Was er hervorzog, war der hölzerne Knebel, den man jemandem in den Mund schob, bevor man etwas Drastisches wie die Amputation eines Beins vornahm. Er hielt ihn mir vors Gesicht.
    »Es reicht«, sagte er.
    Ich dachte darüber nach zu erklären, dass diese Wunde seit Wochen da war, wie sehr ich aufgepasst hatte, die Handschellen nicht darauf prallen zu lassen, dass ich sie geschont und alles in meiner Macht Stehende getan hatte, um sie davon abzuhalten, noch mehr zu schmerzen, und dass er mich hätte warnen können, bevor er sein großes, götterverdammtes Messer hineingerammt hatte. Aber dann sah ich den Knebel in seiner Hand an und machte den Mund zu. Ich beschränkte mich darauf, zu zappeln und ein wenig zu wimmern, als er eine entzündete Stelle nach der anderen öffnete, die gesamte Wunde reinigte und Salbe darauf strich. Als er sie verbunden hatte, schniefte ich, rieb mir die Nase und wandte mich dem Tisch zu, um mein Abendessen zu verzehren.
    Nichtsnutz der Ältere musterte mich amüsiert. »Du bist nicht gerade hart im Nehmen, oder?«, sagte er.
    Ich sagte ihm, was er mit seinem eigenen Essen anstellen könnte, und bekam einen Rippenstoß von Pols Ellbogen. Ich schmollte die ersten paar Bissen meines Eintopfs lang, bevor ich bemerkte, wie gut er war. Während ich ihn genoss, lauschte ich den Gesprächen der anderen und schnappte auf, dass der ältere Nichtsnutz Ambiades hieß, der jüngere Sophos. Sie waren nicht miteinander verwandt, waren aber beide Lehrlinge des Magus. Ich aß, bis ich zu erschöpft war, meinen Kopf noch länger aufrecht zu halten, und schlief, den letzten Bissen noch im Mund, auf dem Tisch ein.

Kapitel 3

    Ich erwachte am Morgen in einem Zimmer im oberen Stockwerk des Gasthauses; ich lag auf dem Boden. Von dort konnte ich die Spanngurte unter dem Bett neben mir sehen, und auch, wie sehr sie unter Pols Gewicht nachgaben. Er musste mich hereingetragen und mich auf den Teppich gelegt haben, bevor er selbst schlafen gegangen war. Ich betrachtete neidisch sein Bett, aber zumindest lag ich auf einem Holzfußboden, nicht auf einem steinernen. Unter mir befand sich der Teppich, und jemand hatte eine Decke über mich gebreitet.
    Ich langte mit einer Hand nach oben und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Ich trug es gewöhnlich lang genug, um es im Nacken zu einem stummeligen Zopf zu flechten, aber es war im Gefängnis noch länger geworden. Im Laufe meiner Haft hatte ich irgendwann das Band verloren, mit dem ich es zusammengehalten hatte, und seitdem hingen mir die Haare ins Gesicht und verkletteten sich zu Knoten. Das Spülen am Vorabend hatte einen Teil des Schmutzes ausgewaschen, aber die Kletten waren noch immer da. Ich dachte darüber nach, mir ein Messer von Pol zu leihen und alles abzuschneiden, verwarf den Einfall dann aber. Pol würde mir das Messer nicht leihen, sondern mir selbst die Haare schneiden, und das würde schmerzhaft werden. Außerdem trug ich mein Haar gern lang. Ich gefiel mir in dem Gedanken, dass es mir ein aristokratisches Äußeres verlieh, wenn es sauber und aus dem Gesicht zurückgebunden war; außerdem war es nützlich. Dann und wann schob ich mir kleine Gegenstände am oberen Ende des Zopfes ins Haar und versteckte sie dort.
    Doch so zerzaust und verklettet wirkte mein Haar nicht aristokratisch. Ich strich es mir erst einmal aus der Stirn und setzte mich auf. Pols Augen öffneten sich, als ich mich bewegte, und ich gab schon jeden Gedanken daran auf, mich davonzuschleichen, bevor ich bemerkte, dass ich ans Bett gekettet war. Mein Knöchel war mit irgendjemandes Hemd gepolstert; darum war ein eiserner Ring geschlossen, dessen Kette um einen Fuß des Betts gelegt war. Nur wenn ich das Bett mitsamt Pol darin hochgestemmt hätte, hätte ich mich befreien können. Ich fragte mich, wer an das Hemd und die Decke gedacht hatte. Pol wirkte nicht wie ein Mann, der auf persönliche Bequemlichkeit viel Wert legte.
    Ich wusch mich noch

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