Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
mich bei den Haaren zu packen. Der Besitzer der Hand hob mich hoch, während er um den Stuhl herumging, und hielt mich so, dass ich ihn ansah. »Glaub auch nicht, dass ich ein Dummkopf bin«, sagte er.
Er war klein, ganz wie sein Vater, und untersetzt. Sein Haar war dunkelblond und lockte sich um seine Ohren. Bei jedem anderen hätte das weibisch gewirkt. Seine Mutter hatte es wahrscheinlich liebenswert gefunden, als er noch ein Kind gewesen war, aber jetzt hatte er nichts Liebenswertes mehr an sich. Mein Haar löste sich von meinem Kopf, und ich stand auf Zehenspitzen, um die Belastung zu mildern. Ich legte beide Hände über seine, versuchte, sie herabzudrücken – und fand mich gänzlich hochgehoben wieder.
Er ließ mich fallen. Meine Beine knickten unter mir ein, und ich landete auf dem Boden; der Aufprall rüttelte meinen ganzen Körper durch. Ich rieb mir den Kopf und versuchte, mir das Haar zurück in die Kopfhaut zu drücken. Als ich aufblickte, wischte sich der König die Hand an der Vorderseite seiner Gewänder ab.
»Steh auf«, sagte er.
Das tat ich und rieb mir immer noch den Kopf.
Der König von Sounis hatte keine geschliffenen Manieren. Er war aber auch kein eindrucksvoller Bär von einem Mann wie die Könige in den Märchen meiner Mutter. Er war zu klein und zu schmierig, und er war einen Hauch zu dick, um elegant zu sein. Aber er war gerissen. Er verdoppelte seine Steuern regelmäßig und hielt sich eine große Armee, um jeglichem Aufstand seiner Bürger vorzubeugen. Die Steuern unterhielten die Armee, und wenn die Armee selbst zur Bedrohung wurde, schickte er sie fort, um Krieg gegen seine Nachbarn zu führen. Ihre Siege mehrten den Staatsschatz. Das Königreich Sounis war größer, als es je gewesen war, seit die Eroberer Stücke davon abgetrennt hatten, um ihre Verbündeten zu entlohnen. Der König hatte die Attolier aus ihrem Land auf der sounisischen Seite der Hephestischen Berge vertrieben und sie durch den Engpass im Lande Eddis ins attolische Herzland jenseits des Gebirges zurückgedrängt. Man munkelte, dass er auch dort Land annektieren wollte und dass Attolia sich auf einen erbitterten Krieg einstellte.
Sounis ignorierte seinen Magus und ging zu der Bank an der Wand neben meinem Stuhl hinüber. Er zog eine kleine Schatulle von der Sitzfläche und trug sie zum Schreibtisch, wo er ihren Inhalt ausleerte: eine Kaskade Goldmünzen von doppeltem Gewicht. Eine einzelne hätte ausgereicht, den Bauernhof einer Familie samt allem Vieh zu kaufen. Mehrere Geldstücke fielen vom Tisch und landeten klirrend auf dem Steinboden. Eines fiel neben meinen Fuß und starrte wie ein gelbes Auge zu mir hoch.
Ich hätte mich beinahe gebückt, um es aufzuheben, zügelte mich aber und sagte stattdessen: »Mein Onkel pflegte so viel Geld unter seinem Bett aufzubewahren und es jede Nacht zu zählen.«
»Lügner«, sagte der König. »So viel Gold hast du in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
Er konnte nicht wissen, dass ich mich eines Nachts zu lange aufgehalten hatte, als ich in seinem Megaron umhergeschlichen war, und durch den Hohlraum gekrochen war, durch den die Rohre des Hypokaustums verliefen, um mich in seiner Schatzkammer zu verstecken. Ich hatte einen Tag lang in stickiger Dunkelheit auf den geriffelten Deckeln seiner Schatztruhen geschlafen.
Sounis klopfte auf die Schatulle, die leer auf der Seite vor ihm lag. »Das hier ist das Gold, das ich als Belohnung aussetzen werde, wenn du mir nicht das bringst, wonach ich dich ausschicke. Ich werde es jedem aus diesem oder einem anderen Land schenken, der dich zu mir bringt.« Er stellte den Kasten aufrecht hin und klappte den Deckel zu.
Ich spürte, wie mir der Magen in die Kniekehlen sackte. Es würde schwer sein, einer solchen Belohnung davonzulaufen. Ich würde von einem Ende der Welt ans andere gejagt werden.
»Ich würde dich natürlich lebend wollen«, sagte der König und beschrieb sorgfältig die fürchterlichen Dinge, die mir zustoßen würden, wenn ich gefangen genommen würde. Ich versuchte, nach den ersten paar Beispielen nicht mehr zuzuhören, aber er redete immer weiter, und ich war hypnotisiert wie ein Vogel vor einer Schlange. Der Magus stand, die Hände vor der Brust, dabei und hörte genauso aufmerksam zu. Er wirkte nicht mehr nervös. Er war sicher befriedigt darüber, dass der König sich auf seine Pläne eingelassen hatte, und überzeugt, dass seine Drohungen mich bei meiner Aufgabe anspornen würden. Mein Magen fühlte
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