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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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gehalten...» Er deutete unbestimmt auf die Bücherregale.
    «Und das war er nicht?»
    «Tja...»
    «Wegen seiner Besucherin?»
    «Ringe in der Nase, Lewis. Das ist stillos. Genauso stillos wie Lager zum Roastbeef.»
    «Wer weiß, vielleicht war sie ein reizendes Mädchen. Man darf nicht immer nur nach dem Äußeren urteilen.»
    «Nein? Und warum nicht?»
    «Weil...» Lewis fiel keine passende Begründung ein, aber er wußte, daß er recht hatte. Morse neigte immer zu vorschnellen Urteilen. Schön, hin und wieder stellten sie sich dann als richtig heraus, meist aber griff er meilenweit daneben, was er fairerweise dann auch selbst zugab.
    Lewis dachte an die Reaktion des Chief Inspector bei der Mitteilung, Phillotson habe den Fall abgegeben, an seine fast automatische Folgerung, die kranke Frau sei nur ein Vorwand, um aus einem Mordfall aussteigen zu können, in dem er nicht weiterkam. Sicher, Phillotson war nicht gerade Sherlock Holmes, aber Morse war oft unnötig kritisch seinen Kollegen gegenüber. Und warum mußte er immer so bissig sein?
    Lewis hielt sich an einen Rat, den Morse ihm mal gegeben hatte. Zählen Sie bis zehn, ehe Sie an die Decke gehen, hatte Morse gesagt. Und danach notfalls bis zwanzig. Morse selbst allerdings hatte es offenbar nicht nötig, seinen eigenen Rat zu beherzigen. Er zählte — wenn überhaupt — allenfalls bis drei.
    Da ein Gedankenaustausch über die Aussage der alten Dame dem Chef offenbar noch nicht genehm war, machte Lewis sich wieder ans Sichten und Suchen. Die Unterlagen in den Schubladen und die Stapel auf den Regalen waren offenbar schon geprüft, aber für nicht wichtig genug gehalten worden, um sie mitzunehmen, in irgendwelchen zweifelhaften Ablagesystemen zu vergraben und früher oder später — wie alles im Leben — mit dem Vermerk «Durch die Ereignisse überholt» zu versehen.
    Morse hatte inzwischen einen in goldgeprägtes Leder gebundenen schmalen Band, der offenbar Gedichte enthielt, aus einem Regal genommen. Er drehte das Buch um neunzig Grad und las eine Randbemerkung. Das «Bitte nicht stören»-Schild war nicht zu übersehen, und Lewis widmete sich wieder seiner umfangreichen Arbeit.
    Etwa eine halbe Stunde lang saßen die beiden Männer über ihrer (durchaus unterschiedlichen) Lektüre; es schien, als büffelten sie für eine Prüfung (jeder in einem anderen Fach). Einer wie der andere hatte seinen eigenen guten Grund, besser zu schweigen, als das, was ihm gerade durch den Kopf ging, preiszugeben.
    Vor allem Morse.
    Er war es auch, der das Schweigen schließlich brach. «Was sagen Sie denn zu unserer Mrs. Wynne-Wilson, Lewis?»
    « Mrs., Sir?»
    Morse sah seinen Sergeant gespannt an. «Nur weiter, Lewis. Tun Sie sich keinen Zwang an.»
    «Nun ja, ich hab sofort gemerkt, daß sie keinen Trauring trug. Sie mit Sicherheit auch, Sir.»
    «Natürlich.»
    «Aber es sah auch nicht so aus, als ob sie je einen getragen hätte. Keine weiße Stelle am Finger oder so was, Sie wissen schon, wo er gewesen sein mußte, ich meine der Ring, bevor sie ihn abgenommen hat.»
    «Kein besonders flüssig konstruierter Satz, Lewis, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.»
    «Aber ist Ihnen das nicht auch aufgefallen?»
    «Sie haben viel bessere Augen als ich, Lewis.»
    «Aber Sie fanden es trotzdem komisch...»
    «Sie meinen, daß die Gute gar nicht verheiratet war?»
    «Würde mich nicht wundern.»
    «Und was noch?»
    «Als Zeugin durchaus brauchbar. Noch hellwach, die alte Dame.»
    «Hm. Sie meinen, außer ihrem Personenstand hat sie nichts erfunden?»
    «Nein. Glauben Sie denn...»
    «Sie müssen noch viel lernen, Lewis. Unsere Mrs. W.-W. ist eine begnadete Märchenerzählerin. Sie lügt wie gedruckt.»
    Lewis warf seinem Chef einen mißbilligenden Blick zu. «Sie mit Ihren vorschnellen...»
    «Das meiste von dem, was sie uns erzählt hat, war erstunken und erlogen. Sie ist eine zwanghafte Lügnerin. Mir ist lange schon kein solches Talent mehr über den Weg gelaufen.»
    Lewis schüttelte bedrückt den Kopf, während Morse fortfuhr:
    «Sie hat zwar in letzter Zeit offensichtlich keinen Trauring mehr getragen, ich glaube aber auch, daß sie niemals einen gehabt hat. Und so ähnlich dürfte es sich auch mit ihren anderen Aussagen verhalten.»
    «Zum Beispiel?»
    «Zum Beispiel liegt auf der Hand, daß sie überhaupt nicht schwerhörig ist. Sie verstand alles bestens, was ich zu ihr sagte.»
    « Mich hat sie aber nicht verstanden.»
    «Weil sie Sie nicht verstehen wollte,

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