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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ging hervor, daß McClure sich sehr für ihren Sohn und wohl auch für die Hintergründe von dessen Selbstmord interessiert hatte.
    «Der Coroner lag völlig falsch.» Mary Rodway zündete sich die nächste Zigarette an und inhalierte tief.
    «Sie glauben nicht, daß es Selbstmord war?»
    «Das habe ich nicht gesagt. Aber ich finde, der Coroner hätte das mit den harten Drogen nicht so herausstellen dürfen. So sagt man ja wohl: harte Drogen, im Unterschied zu weichen Drogen. Wie bei Pornos.»
    Morse nickte und machte ein möglichst harmloses Gesicht. «So ein Menschenleben — Matthews Leben —» fuhr Mrs. Rodway fort, «ist sehr viel komplizierter, als der Coroner es geschildert hat.»
    «Sie dürfen nicht zu — äh — streng mit ihm ins Gericht gehen, Mrs. Rodway. Aufgabe des Coroner ist es nicht in erster Linie, Recht von Unrecht zu trennen, moralische Bewertungen vorzunehmen und dergleichen. Er soll aus vielen Einzelheiten so etwas wie ein Muster zusammensetzen und sich dann unter einer begrenzten Zahl von Möglichkeiten eine einigermaßen passende als Urteilsspruch herauspicken.»
    Ob diese von der Formulierung her etwas angreifbare Erklärung Mrs. Rodway hinreichend beeindruckte, war nicht zu erkennen, vielleicht aber hatte sie auch gar nicht zugehört, denn sie fuhr im gleichen Ton fort: «Es waren zwei verschiedene Dinge, die getrennt hätten betrachtet werden müssen. Ich kann das nicht so gut ausdrücken, Inspector — aber es gibt Ursachen und Symptome. Und im Fall von Matthew war diese Drogengeschichte ein Symptom und keine Ursache. Ich kannte Matthew besser als jeder andere Mensch...»
    «Sie denken also...»
    «Ich habe aufgehört zu denken. Was nützt es, das alles immer wieder aufzuwärmen?»
    Sie drückte mit einer heftigen Bewegung eine halb gerauchte Zigarette aus und zündete sich die nächste an.
    «Stört es Sie, wenn ich rauche?»
    «Nein, nein.»
    «Darf ich Ihnen eine anbieten?» Sie streckte die Schachtel Dunhill erst Lewis hin, der lächelnd den Kopf schüttelte, und dann Morse, der tapfer ablehnte, denn erst heute früh, als er kurz vor sechs mit staubtrockenem Mund und dröhnendem Kopf aufgewacht war, hatte er beschlossen, dem zweifelhaften Trost nicht nur des Alkohols, sondern auch des Nikotins auf immer zu entsagen.
    Aber vielleicht war es ja nicht weiter schlimm, wenn er mit der totalen Askese erst morgen anfing. «Vielen Dank, Mrs. Rodway, sehr freundlich... Hochinteressant, was Sie uns da erzählen. Bitte fahren Sie fort.»
    «Das war eigentlich schon alles.»
    «Aber warum haben Sie diese Einwände nicht bei der Verhandlung vorgebracht?»
    «Das habe ich nicht gekonnt! Ich mochte ja nicht mal den Fernseher oder das Radio einschalten aus lauter Angst, sie könnten was über den Fall bringen. Hätten Sie das geschafft, wenn es Ihr Kind gewesen wäre, Inspector?»
    «Hm... ja... das leuchtet mir ein», sagte Morse verlegen.
    «Normalerweise gibt es, wenn so was passiert, jede Menge Klatsch und Gerüchte. Aber bei der gerichtlichen Untersuchung fehlte das völlig.»
    Mary Rodway inhalierte so heftig, daß Lewis den Eindruck hatte, sie sei fest entschlossen, sich ihre Atemwege ein für allemal zu ruinieren.
    Morse sah ein paar Sekunden gedankenvoll vor sich hin und meinte dann, am Ende eines langen schwarzen Tunnels einen ganz schwachen Lichtschein zu erkennen.
    Die nächsten Worte wählte er mit großer Sorgfalt. «Sie hatten also die Hoffnung, daß irgend jemand vor Gericht noch weiteres Beweismaterial vorlegen würde, das Sie selbst aber nicht zur Sprache bringen wollten.»
    «Vielleicht war es auch gar nicht wichtig.»
    «Wollen Sie es mir nicht sagen?»
    «Nein.»
    Morse sah sich in dem geräumigen Wohnzimmer um. Es war ein warmer Tag, aber er vermutete (zu Recht), daß die beiden langen Heizkörper voll aufgedreht waren. An den Wänden hingen Drucke von Braque, Matisse, Picasso - hauptsächlich Stilleben-, Fotos und Aquarelle berühmter Herrenhäuser und Schlösser, unter anderem Versailles, Blenheim — und Wolsey College, Oxford. Nur unbelebte Gegenstände, dachte Morse. Interessant...
    «Sie kannten Dr. McClure?» fragte Morse.
    «Ich habe ihn kennengelernt, als Matthew nach Oxford ging. Er war sein Tutor.»
    «Wohnte er nicht auf demselben Aufgang wie Matthew?»
    (Lewis hatte am vergangenen Abend brav seine Hausaufgaben gemacht — und die für Morse gleich mit.)
    «Ja, im ersten und im dritten Jahr. Im zweiten Jahr hat er nicht im College gewohnt.»
    «Und wo? Wissen Sie

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