Die Leiche am Fluß
unerwartet gekommen. Seit in der Oxford Mail die Meldung von dem Mord an McClure erschienen war, hatte sie damit gerechnet — und ein wenig auch gefürchtet daß sich die Polizei mit ihr in Verbindung setzen würde. Mindestens zwei Postkarten hatte sie ihm geschickt und einen Brief, einen wirren, unreifen Schrieb, als sie sich an einem dunklen, wolkenverhangenen Tag besonders einsam gefühlt hatte. Und so wie sie Felix kannte, hatte er alles aufgehoben, was von ihr kam.
In der Chapters Bar des Randolph hatten sie sich auf einen Drink zusammengesetzt, das war ihre erste Begegnung gewesen. Ein gutes Gespräch ohne falsche Versprechungen. Außer, daß er darauf bestand, in ihr keine «Kurtisane» (wie er es mit einem Lächeln formulierte) zu sehen. Und sei es auch nur aus dem Grund, daß ihm dieses Wort aus Kreuzworträtseln verhaßt war.
Es war ein guter Abend gewesen — und eine gute erste Nacht. Seit jenem Abend begann sie sich für Kreuzworträtsel zu interessieren, was Felix später geduldig förderte...
Ihre Telefonnummer hatten sie natürlich in seiner Wohnung gefunden. Es war schließlich keine Geheimnummer. Im Gegenteil. Anfangs hatte sie in zahlreichen Telefonzellen von East Oxford herumgelegen — auf einer Karte mit der kunstlos gezeichneten Silhouette einer kurvenreichen Brünetten. Und Felix hatte die Nummer in diesem schwarzen Telefondings auf dem Schreibtisch gehabt. Erstaunlich, daß ein so gescheiter Mann die simple fünfstellige Nummer nicht einfach seinem Gedächtnis anvertraut hatte.
Armer alter Felix...
Bis auf ihre Mum gab es in ihrem Leben niemanden, den sie wirklich liebte. Aber von ihren Freiern war Felix, dieser liebenswerte, gütige, fürsorgliche Tolpatsch, derjenige, der ihr am nächsten gestanden hatte.
Er hatte nie von Feinden gesprochen, mußte aber wohl welche gehabt haben. Zumindest einen. Aber sie konnte dazu nichts sagen. Sie wußte nichts. Sonst hätte sie sich natürlich schon gemeldet.
Oder doch nicht?
Wer einen Job hatte wie sie, legte keinen gesteigerten Wert darauf, die Polizei auf sich aufmerksam zu machen. Was hätte sie auch sagen können? Zum letztenmal war sie vor drei Wochen bei Felix gewesen. Er hatte Steaks gebraten, dazu hatten sie eine Flasche alten Bordeaux getrunken und später zwei Flaschen teuren Champagner — eine davor und eine danach.
Armer alter Felix...
Eine erfreuliche Ausnahmeerscheinung in der sehr unerfreulichen Welt, in der sie seit Jahren lebte.
Die Bullen hatte sie schön hinters Licht geführt mit der Auskunft, sie sei nicht da, sei nach Spanien gefahren. Hätte der Cop, der beim zweitenmal angerufen hatte, sie nach dem Oben-ohne-Foto gefragt, hätte sie ganz schön alt ausgesehen. Aber der Mann war offenbar harmlos. Beide waren sie offenbar harmlos. Und nicht besonders helle. Ob sie das mit Spanien nachprüfen würden? Na wenn schon... Man wird sich ja noch einen kleinen Jux machen dürfen. Niemand läßt sich schließlich gern in eine Mordermittlung hineinziehen.
Aber sie war ja sowieso aus dem Schneider. Felix war am 28. August, einem Sonntag, ermordet worden, und an ebenjenem Sonntag hatte sie morgens um halb sieben (verdammt früh!) eine Ausflugsfahrt mit dem Bus nach Bournemouth gemacht, von der sie erst abends um Viertel vor zehn zurückgekonnnen war. Vierunddreißig Zeugen konnten das bestätigen. Fünfunddreißig, wenn man den Busfahrer mitrechnete.
Kein Grund zur Besorgnis also.
Natürlich machte sie sich trotzdem Sorgen. Immer wieder fragte sie sich, wie ein Mensch überhaupt auf den Gedanken verfallen konnte, einen so harmlosen Kerl wie Felix umzubringen.
In seinem Leben mußte es irgendeinen Vorfall, irgendein Geheimnis geben, von dem sie nichts ahnte. Aber er hatte nie eine Andeutung gemacht...
Und dann fiel ihr etwas ein.
Vor einem Jahr, Ende Mai (es konnte auch Anfang Juni gewesen sein), war ein Student, der sein Zimmer auf Felix’ Aufgang hatte, aus seinem Fenster im dritten Stock gesprungen und hatte sich das Genick gebrochen.
Ein Student? Du weißt ganz genau, wer es war, Ellie!
Armer Matthew...
Dabei hatte sie auch damit nichts zu tun gehabt. Hoffentlich jedenfalls. Sie waren schließlich nur einmal zusammen gewesen, damals, als Felix so rasend eifersüchtig geworden war.
Eifersucht!
In seinem Alter! Er hätte ihr Großvater sein können — er war schließlich einundvierzig Jahre älter als sie. Zumindest ihr Vater. Auf jeden Fall war er einer der ganz wenigen Freier, die etwas in ihr berührten, während
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