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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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das noch?»
    Hatte Lewis das leise Flackern in Mary Rodways Augen gesehen? Oder Morse?
    «Ich weiß nicht recht...»
    «Macht nichts. Sergeant Lewis kann das ohne weiteres feststellen.»
    Aber jetzt war es ihr offenbar wieder eingefallen. «Irgendwo in East Oxford. Cowley Road, wenn ich mich recht erinnere...»
    Morse tat, als habe er keine Alarmglocke schrillen hören. «Wie standen Sie zu Dr. McClure?»
    «Ein sehr angenehmer Mensch, gütig und aufrichtig. Er hat sich immer so nett um Matthew gekümmert.»
    Morse holte einen Brief hervor, den er Mrs. Rodway reichte. Im Briefkopf war als Adresse die Evington Road South 14, Leicester, angegeben. Der Brief war mit der Hand geschrieben und auf den 2.Juni datiert, den Tag, nachdem der Coroner bei Matthew Rodway auf Selbstmord befunden hatte.

    Lieber Felix,

    es tat gut, Ihre Stimme am Telefon zu hören, aber die Kehle war mir wie zugeschnürt, weswegen ich kaum ein Wort herausgebracht habe. Bitte machen Sie alles so, wie wir es verabredet haben. Wenn Sie noch irgend etwas Belastendes unter Ms Sachen finden, vernichten Sie es bitte, das gilt auch für Briefe von mir. Er hatte zwei Familienfotos im Zimmer, eins war eine gerahmte Aufnahme von uns beiden, die hätte ich gern zurück, aber alles andere, seine Kleidung und seine persönlichen Dinge, können weg, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das für mich erledigen würden.
    Ich möchte Ihnen für alles danken, was Sie für Matthew getan haben. Er hat, wie Sie wissen, oft davon gesprochen, wie lieb Sie zu ihm waren. Tut mir leid, mehr kann ich jetzt nicht schreiben. Sehr herzlich
    Mary

    Morse nahm dankend eine zweite Zigarette an, und Lewis drehte den Kopf weg, um den Rauchschwaden nach Möglichkeit zu entgehen, auch wenn er den Gefahren des Passivrauchens nicht allzuviel Gewicht beimaß. In diesem Zimmer waren allerdings die Auswirkungen ständigen Rauchens nicht zu übersehen. Auf den mit Dispersionsfarbe gestrichenen Wänden hatte sich eine deutlich wahrnehmbare Nikotinschicht niedergeschlagen. In den Ecken war die hohe Decke fast schwarz, über einem der Heizkörper zeichnete sich eine rechteckige helle Stelle ab.

    «Stammt dieser Brief von Ihnen?» fragte Morse.
    «Ja.»
    «Möchten Sie uns etwas dazu sagen?»
    «Der Text spricht doch wohl für sich...»
    «Hat McClure in Matthews Zimmer etwas gefunden?»
    «Das weiß ich nicht.»
    «Hätte er es Ihnen gesagt, wenn er zum Beispiel Rauschgift gefunden hätte?»
    «Wohl kaum.»
    «Glaubte er, daß Matthew Drogen nahm?»
    Man merkte, wie schwer ihr die Antwort fiel: «Ja.»
    «Wissen Sie, woher er seinen Stoff bezog?»
    «Nein.»
    «Hat er irgendwann mal etwas gesagt, daß seine Freunde Drogen nehmen?»
    «Nein.»
    «Halten Sie es für denkbar?»
    «Ich kenne nur zwei seiner Kommilitonen, die auf demselben Aufgang wohnten wie er.»
    «Glauben Sie, daß im College Drogen kursierten?»
    «Das weiß ich nicht.»
    «Hätte Dr. McClure es gewußt?»
    «Das möchte ich annehmen.»
    «Ließ Matthew sich leicht von Freunden beeinflussen?»
    «Bestimmt nicht.»
    Bisher hatte Mrs. Rodway nichts Sensationelles, ja eigentlich kaum etwas Erhellendes ausgesagt, fand Lewis, aber Morse nahm sich bei der Vernehmung weiter sehr zurück.
    «Geben Sie irgend jemandem die Schuld? Wegen der Drogengeschichte?»
    «Das würde ich mir nie anmaßen.»
    «Sich selbst womöglich?»
    «Wir neigen wohl alle dazu, die Schuld erst einmal bei uns selbst zu suchen.»
    «Hat Dr. McClure irgendwelche Schuldzuweisungen vorgenommen?»
    «Er hat mal gesagt...» Sie unterbrach sich und griff nach der nächsten Zigarette. «Ja, das war schon eigenartig. Er sprach von dem starken Druck, unter dem heutzutage die Jugend steht, von Jugendkultur und verfallenden Wertmaßstäben...»
    «Wissen Sie noch, was er genau gesagt hat?» hakte Morse vorsichtig nach.
    Aber sie hörte gar nicht hin. «Wenn Matthew sich damals nicht... nicht umgebracht hätte, aus welchem Grund oder aus welchen Gründen auch immer, hätte er sich wahrscheinlich wieder gefangen und wäre schon wenige Tage oder eine Woche später vergnügt und munter gewesen. Darüber komme ich nicht hinweg.»
    Sie begann zu weinen.
    Lewis sah weg.
    Morse nicht.
    «Wissen Sie noch, was er gesagt hat?» wiederholte er.
    Mrs. Rodway wischte die Tränen weg und schneuzte sich geräuschvoll. «Daß Schuldzuweisungen immer schwierig sind, hat er gesagt. Und daß er — wenn überhaupt — den Studenten die Schuld geben würde...»
    «Das war

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