Die Leiche am Fluß
Wohnungen, die während des Trimesters natürlich alle belegt waren und manchmal auch in den Ferien, wenn Konferenzen oder andere mehrtägige Veranstaltungen stattfanden. Morgens fing ihr Dienst damit an, daß sie den Inhalt sämtlicher Abfallkörbe in schwarze Müllsäcke leerte. Danach putzte sie die drei WCs, eins auf jedem Stockwerk (Zimmer mit Toilette und Bad gab es noch nicht), und die Waschbecken. Zweimal in der Woche saugte sie, wischte Staub, polierte Messing und dergleichen. Im übrigen hatte sie dafür zu sorgen, daß die Räume einigermaßen sauber und ordentlich waren, soweit das bei jungen Männern und Frauen möglich war, die sich wahrscheinlich (das war jedenfalls ihre unmaßgebliche Meinung) inmitten von Schlamperei und Chaos sogar wohler fühlten. Das Bettenmachen gehörte zum Glück nicht zu ihren Obliegenheiten.
Bereitwillig zeigte sie den Polizeibeamten die Wohnung G 4 im zweiten Stock, wo bis vor vierzehn Monaten neben der oxfordblauen Doppeltür ein Schild mit dem Namen «Dr. F. F. McClure» in Frakturlettern befestigt gewesen war.
Falls Morse sich bedeutsame Entdeckungen erhofft hatte, wurde er enttäuscht. In der kleinen Wohnung stand nicht mehr das Mobiliar, das die Hochschule einem ihrer angesehenen Lehrer zur Verfügung gestellt hatte, sondern die Standardeinrichtung für Studenten: ein Dreisitzersofa, zwei Sessel, zwei Schreibtische, zwei Bücherregale. Der Anblick erinnerte Morse an seine eigene erfolglose Studienzeit, verhalf ihm ansonsten aber nicht zu neuen Erkenntnissen.
Vielleicht wäre es nützlich gewesen, eine Weile im Wohnzimmer und dem geräumigen Schlafzimmer umherzugehen, in dem bis vor einem Jahr ein offenbar kultivierter und liebenswürdiger Mann gelebt hatte, um etwaige Schwingungen, irgendeinen Nachhall aufzufangen.
Von solchen Geisterbeschwörungen aber hielt Morse nicht viel.
«Ist G 8 frei?» fragte er.
«Nein, aber der junge Mann ist zur Zeit nicht da. Wenn Sie mal kurz hineinschauen wollen...»
«Dort hat früher Matthew Rodway gewohnt, der...»
«Ich weiß», sagte Susan Ewers leise.
Doch G8 erwies sich ebenfalls als enttäuschend: Dreisitzersofa, zwei verschossene Sessel... Nichts erinnerte mehr an den jungen Mann, der sich aus ebenjenem Fenster, an dem jetzt Morse und Lewis standen und sich anschwiegen, auf den gepflasterten Hof gestürzt hatte.
«Mr. Rodway kannten Sie nicht?» fragte Morse.
«Nein. Ich bin, wie gesagt, erst im September letzten Jahres gekommen.»
«Kursieren hier im Haus immer noch Drogen?»
Bei der unerwarteten Frage zuckte Mrs. Ewers leicht zusammen. «Na ja, sie haben ihre Parties, das schon... Mit Alkohol und... und so weiter.»
«Aber Sie haben nie irgendwelche Hinweise auf Drogen gesehen? Crack? Speed? Ecstasy? Kleine weiße Päckchen oder dergleichen?»
«Nein», sagte sie, was fast der Wahrheit entsprach.
«Sie haben nie irgendwas Verdächtiges gerochen?»
«Ich weiß ja überhaupt nicht, wie Rauschgift riecht», sagte sie. Und diesmal war es die ganze Wahrheit.
Als sie die Treppe wieder hinuntergingen, deutete Lewis auf eine Tür mit einem blumenverzierten Schildchen: Susan’s Pantry.
«Hier haben Sie wohl Ihr Arbeitsgerät?»
Sie nickte. «Jeder Hausdiener hat seine Pantry. So nennen wir das hier.»
«Dürfen wir mal einen Blick hineinwerfen?»
Sie schloß auf. Der kleine, aber ziemlich hohe Raum war mit Eimern, Mop, Müllbeuteln, schwarzen Müllsäcken, kleineren transparenten Plastiksäcken, Glühbirnen, Klopapierrollen, Handtüchern, Bettzeug und zwei Staubsaugern vollgestellt, wirkte aber sehr ordentlich. Auf zwei weißgestrichenen Regalen standen Reinigungs- und Waschmittel. Alles war fast klinisch sauber.
Bestimmt, dachte Morse, gehört Susan Ewers zu den Hausfrauen, die täglich ihre Wasserhähne putzen und sich schrecklich aufregen, wenn sie Zahncremereste im Waschbecken finden. Wenn Reinlichkeit etwas Heiliges hat, steht die Gute kurz vor der Kanonisierung.
Abgesehen davon, daß Morse im stillen Mr. Ewers aufrichtig bemitleidete, waren seine Überlegungen an diesem Vormittag nicht sehr ergiebig. Etwas hilflos stand er in der kleinen Pantry, in der ihn fast so etwas wie Platzangst überkam.
Wie so oft war Lewis der Katalysator.
«Was macht denn Ihr Mann beruflich, Mrs. Ewers?»
«Im Augenblick ist er arbeitslos. Vorher hatte er einen Job bei der Stadt, in Summertown, aber da haben sie ihn entlassen.»
«Wann war das?»
«Letztes Jahr.»
«Wann genau, bitte?»
«Im... im August.»
«Gut, daß
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