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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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dieser fesselnden Überlegung weiterzuspinnen, denn jetzt griff Brenda in die Handtasche und gab ihr den Brief, den sie am Dienstag bekommen hatte. Nicht mit der Post. Er war persönlich in ihren Briefkasten gesteckt worden.
    «Bitte lesen Sie! Zu sagen brauchen Sie nichts dazu, wenn Sie nicht wollen...»
    Als Julia ihre lehrerinnenhafte Brille aufsetzte, sah sie, daß Brenda Tränen übers Gesicht liefen.

    Bis sie mit der bedrückenden Lektüre fertig war, hatte die Frau neben ihr aufgehört zu weinen, nur hin und wieder war noch ein leises Schniefen zu hören.
    «Großer Gott», stieß Julia hervor.
    «Das ist aber noch nicht alles. Da ist noch... noch etwas anderes, Schlimmeres. Ich muß es einfach loswerden, Mrs. Stevens.»

21

    Haß ist eine Folge der Furcht; wir fürchten etwas, ehe wir es hassen. Aus einem Kind, das sich fürchtet, wird ein Erwachsener mit Haß im Herzen.
    (Cyril Connolly, The Unquiet Grave)

    Liebe, liebste Mum!
    Ich hab lang nichts mehr von mir hören lassen, eigentlich wollt ich ja auch gar nicht schreiben, aber mündlich pack ichs einfach nicht. Sehr gut hab ich mich nie ausdrücken können, aber ich Versuchs einfach mal. Ich will Dir erklären, warum ich von zu Hause abgehauen bin und wieso ich es Dir nie hab sagen können. Ich schreib Dir jetzt, weil meine Freundin im Krankenhaus mir von ihm erzählt hat und daß er schon wieder ganz gut drauf ist und bald wieder nach Hause kommt, und ich wollt Dir sagen: Pfleg ihn bloß nicht, damit es ihm bald wieder schlechter geht und er ganz schnell abkratzt, denn das hat er verdient. Du hast gedacht, daß ich abgehauen bin, weil ich nicht mehr zur Schule gehen wollte und von Jungs und Sex geträumt und gekifft und mich in der Punkszene rumgetrieben hab und so, und das stimmt natürlich auch. Aber deswegen wär ich nie von Dir weggegangen. Einfach wars nicht, ohne einen Pfennig Geld und kein Dach überm Kopf, ich hatte nur das, was ich Dir und dem guten alten Dad verdanke, stramme Schenkel und pralle Titten, ordentlich was zum Begrapschen für die scharfen Hirsche, und dafür hab ich sie tüchtig bluten lassen und nach den ersten Wochen in London eigentlich immer ganz gut davon gelebt. Ich hab bisher nie den Mumm gehabt, es Dir zu sagen. Du darfst mir nicht böse sein. Schuld daran ist der geile Schuft, den Du vor dreizehn Jahren geheiratet hast.
    Ich war dreizehn, als es anfing, wir hatten beide die Grippe, er und ich, und lagen im Bett, als Du am Donnerstagvormittag zum Putzen gegangen bist, sogar an den Wochentag erinnere ich mich noch, gegen elf ist er in mein Zimmer gekommen und hat Kakao gebracht und gesagt, daß ich mich mächtig gemausert und eine tolle Figur gekriegt hab und daß er ganz stolz ist, so eine Tochter zu haben, eine Stieftochter vielmehr, richtig rumgesülzt hat er. Und dann hat er einen Arm um mich gelegt und mir durch den Schlafanzug durch Nacken und Rücken massiert, das entspannt, hat er gesagt, und dann hab ich mich wieder hingelegt, mit dem Rücken zu ihm, und wie es gekommen ist, weiß ich nicht, aber plötzlich hat er neben mir gelegen und an mir rumgefummelt. Ich hab nicht gewußt, was ich machen soll, zuerst hab ich gedacht, er will nur ein bißchen schmusen, und da hab ich ihn nicht wegschubsen wollen, weil das peinlich für uns beide gewesen wäre. Bitte versuch mich zu verstehen, Mum. Wo das Schmusen aufhört und der Sex anfängt, hab ich damals noch nicht so richtig gewußt, aber dann hab ich was Hartes gespürt und ich wußte, was es war. Und da hatte ich einfach nur Angst — wie am ersten Schultag, wo ich in eine Klasse geraten war, in der ich nichts zu suchen hatte, und wo sie mich gleich haben nachsitzen lassen, auch wenn ich nichts dafür konnte, aber ich hab gedacht, es ist wirklich meine Schuld. Und dann hat er meine Hand genommen und sie in seine Pyjamahose gesteckt und gesagt, ich soll ihn reiben. Ich hatte das noch nie mit einem Mann gemacht, es fühlte sich seidig und warm an, beängstigend und schön zugleich, und plötzlich wars schon passiert, ich hatte das ganze klebrige Zeug auf meinem Pyjama.
    Du wirst es nicht mehr wissen, aber als Du nach Hause kamst, hab ich gesagt, er ist schon in der Waschmaschine, ich hab ihn durchgeschwitzt. Später hat er immer gesagt, daß ich es gewollt hab. Daß ich damit angefangen hab. Er ist ein gemeiner Lügner, Mum, aber kann sein, daß ich zu einem Prozent auch schuld war, und das mußt Du mir verzeihen. Er hat das ausgenutzt bis zum Gehtnichtmehr. Wenn ich ihn

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