Die Leiche am Fluß
und sein Team hatten eher flüchtig danach gesucht, Lewis hatte inzwischen eine Durchsuchung des ganzen Geländes um Daventry Court und in den Nachbargärten angeordnet, die bisher erfolglos verlaufen war.
Morse war keiner von denen, die mit Leidenschaft nach einer Nadel im Heuhaufen suchen. Er zog es vor, sein geistiges Magnetfeld zu intensivieren (seine Worte) in der Hoffnung, die Nadel würde unversehens vor seiner Nase auftauchen. Diesen Gefallen hatte sie ihm allerdings diesmal noch nicht getan, was vielleicht daran lag, daß vor der Nase des Chief Inspector in den letzten Tagen vornehmlich eine Schüssel mit dampfendem Erkältungsbalsam gestanden hatte.
Es war 10.40 Uhr, als Morse mit seinem Rezept endlich auftauchte, und Lewis hörte förmlich schon den Spruch, der so sicher kommen mußte wie das Amen in der Kirche:
«Um die Ecke ist eine Apotheke, Lewis, wenn Sie so nett wären... Der Haken ist nur...» — heftiges Kramen in den Taschen — «...der Haken ist nur, daß ich offenbar...»
Falsch gedacht, Lewis. Diesmal war eine Variante eingebaut: «Um die Ecke ist eine Apotheke, wenn Sie so nett wären... keine Ahnung, wieviel diese verdammten Tories einem heutzutage abknöpfen, aber...» — heftiges Kramen in den Taschen — «...aber hier ist ein Zehner.»
Während Morse sich auf dem Parkplatz in das Kreuzworträtsel der Times vertiefte, marschierte ein sehr verwunderter Lewis zu Boots in die Lower Summertown. Was war bloß in letzter Zeit mit Morse los?
Der dritte Termin, der in Julia Stevens’ Kalender stand, mußte verschoben werden. Im Old Parsonage Hotel erwartete sie eine Nachricht. Mrs. Brooks könne die Verabredung zum Lunch leider nicht einhalten und würde sich später melden. Bitte nicht anrufen.
Julia war nicht allzu enttäuscht, denn sie hatte zur Zeit genug mit sich und ihren eigenen Problemen zu tun. Sie schwang sich auf einen der Hocker an der Parsonage Bar und leistete sich ein Glas Bruno Paillard Brut Premier Cru, dann ging sie zum Taxistand am Martyrs’ Memorial und ließ sich vornehm nach Hause chauffieren - in einem Taxi, das Reklame für das Old Orleans Restaurant and Cocktail Bar spazierenfuhr.
Erst abends machte sie sich ernsthaft Gedanken darüber, warum Mrs. Brooks wohl hatte absagen müssen...
Kurz vor den Neunuhrnachrichten auf BBC 1 rief Brenda Brooks dann an (in Eile, wie sie sagte). Könnte man sich am nächsten Tag, dem Samstag, treffen? Ein bißchen früher vielleicht? Gegen zwölf?
Nachdenklich legte Julia auf. Eigenartig... Brenda hatte zu Hause Telefon, das Gespräch war aber offenbar von einer Zelle aus geführt worden. Bestimmt hatte es wieder etwas mit diesem Widerling zu tun, den sie geheiratet hatte. Von Anfang an war Ted Brooks das sprichwörtliche Haar in der Suppe, sofern man die Ehe von Mr. und Mrs. Brooks als eine Suppe bezeichnen wollte. Eine Suppe, die nach dreizehn für Brenda leidvollen, zuweilen fast unerträglichen Jahren einen zunehmend üblen Geruch verbreitete.
19
Der wahre Gradmesser für den Charakter eines Mannes ist der Gesundheitszustand seiner Frau.
(Cyril Connolly)
An der Bushaltestelle und auf der Fahrt zum Carfax gingen Brenda Brooks immer wieder dieselben Bilder durch den Kopf, eine Art Alptraum-Videoclip, und sie war zwischen Hoffnung und Angst hin und her gerissen.
Drei Tage zuvor, am Mittwoch, dem 31. August, war sie zur Untersuchung in der Praxis des Orthopäden gewesen.
«Zumindest ist es keine schwere Fraktur.»
«Wie meinen Sie, Herr Doktor?» Diese ständigen Fachbegriffe waren ihr ein Rätsel.
«Nicht allzu ernst, Mrs. Brooks — aber ein leichter Bruch ist eben leider auch ein Bruch.»
«Du liebe Güte...» Also tatsächlich mehr als eine Zerrung, die sie vermutet und derentwegen sie zu ihrem Hausarzt gegangen war, der sie seinerseits an einen Facharzt überwiesen hatte. Der Orthopäde hatte ihr die Sache mit diesem Knochen zwischen Handgelenk und Fingern erklärt, und hinterher hatte sie in dem großen dunkelblauen Band Gray’s Anatomy aus einem der Bücherregale von Mrs. Stevens nachgesehen, den sie so gut vom Abstauben her kannte. Irgendwas mit Meta , hatte der Doktor gesagt, und das hatte sie sich merken können, weil eine ihrer Freundinnen so hieß. Richtig, da war es: Metacarpus.
«Und ich würde Ihnen dringend raten, die rechte Hand zunächst ganz ruhigzustellen. Keine Hausarbeit. Absolute Schonung. Die Schwester soll Ihnen eine Stützmanschette geben, die können Sie überstreifen wie einen
Weitere Kostenlose Bücher