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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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verpetze, hat er gesagt, würde er Dir erzählen, was ich gemacht hab und ich hatte ganz furchtbare Angst davor, daß Du es erfahren könntest, und so hat er mich dann drei endlose Jahre lang erpreßt, ich mußte alles machen, was er von mir verlangte. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie widerwärtig er mir war, ich konnte ihn nicht mehr sehen. Ich hab ihn unheimlich gehaßt. So, Mum, das wars, und ich möcht wirklich wissen, was Du jetzt denkst. Er ist ein Arschloch, und ich will ihn nie, nie wiedersehen, höchstens, um ihm ein langes Messer in den fetten Bauch zu rammen und ihn zappeln zu sehen und quieken zu hören, das fette Schwein. Und wenn Du mal Hilfe brauchst, um den verdammten Arsch abzustechen, sag mir Bescheid — ich komme sofort. Nur eins muß ich Dir noch sagen, und vielleicht hab ich mich deswegen gerade jetzt aufgerafft, Dir zu schreiben. Ich hab immer Kontakt zu Tante Beryl gehalten, sie hat mir erzählt, wies Dir geht, und vor vierzehn Tagen hat sie mir geschrieben, was er mit Dir angestellt hat. Du bist verrückt, daß Du bei ihm bleibst und Dich von ihm fertigmachen läßt. Ich hab den Brief gerade noch mal durchgelesen, da steht, Du könntest mir Bescheid sagen, aber das geht eben nicht. Vielleicht ist es besser so. Wundere Dich nicht, wenn ich plötzlich mal aufkreuze. Nicht gleich... Wir haben uns so lange nicht gesehen, und es fällt mir verdammt schwer. Du wirst für mich immer der liebste Mensch auf der Welt sein. Noch eine letzte Sache, komisch eigentlich, ich hab in der Oxford-

    Julia drehte das Blatt um, aber mehr kam nicht. Die letzte Seite fehlte.

22

    Wir wünschen uns alle, irgendwie wichtig zu sein.
    (Ralph Waldo Emerson, Journals)

    Lewis hatte auf dem Weg zu seinem Termin mit der Wirtschaftsleiterin von Wolsey einen Abstecher zum White Horse gemacht, wo er Morse absetzen sollte. Nachdem dieser eine doppelte Dosis Penizillintabletten mit einem Pint Hook Norton heruntergespült hatte, schickte er sich an, seinerseits zu einem Termin ins Pitt Rivers Museum für Ethnologie und Vorgeschichte zu gehen.
    Ein goldener Herbstnachmittag nimmt früher oder später jeden Oxford-Besucher gefangen. Während Morse gemächlich die Parks Road hinaufging, vorbei an der Fassade von Wadham zu seiner Rechten, vorbei an den blauen schmiedeeisernen Gittern an der Rückseite von Trinity zu seiner Linken, war er dem Schicksal, das es ihm ermöglicht hatte, einen so großen Teil seines Lebens hier zu verbringen, sehr dankbar.
    Er lächelte sogar ein bißchen, als er das Gelände des neogotischen Oxford University Museum betrat, in dem Dronten und Dinosaurier zu Hause waren. Am blaßblauen Septemberhimmel hingen ein paar weiße und ein paar graue Wolken. Aber nicht viele.
    Der kurze Fußweg hatte ihm gutgetan, auch wenn er fand, daß die Lobgesänge auf die Freuden der Fortbewegung zu Fuß oft etwas zu enthusiastisch ausfielen. Solvitur ambulando sagten die Römer, und wenn das «ambulando» als Gehen eher im übertragenen Sinne gemeint war — nun ja, um so besser. Dabei war natürlich auch gegen wirkliches Gehen (in Maßen!) nichts einzuwenden. Schließlich hatte Housman einige seiner schönsten Gedichte nach mittäglichem Biergenuß bei einem Spaziergang durch die Backs von Cambridge verfaßt.
    Solvitur ambulando ... Schreite voran, Morse, vielleicht gehst du der Lösung entgegen.
    Auf den steinernen Stufen, die zum Eingang führten, blieb er stehen und las:

    Öffnungszeiten für Besucher:
    Montag bis Samstag 12.00 - 16.30 Uhr

    Es war zwölf vorbei, und auf dem Rasen hatte sich eine größere Schülergruppe mit Rucksäcken und Lunchpaketen niedergelassen. Morse beschleunigte den Schritt. Nicht, daß er etwas gegen Schulkinder hatte, aber auf näheren Kontakt mit ihnen legte er keinen gesteigerten Wert.
    In der hohen Halle mit dem Glasdach ließ Morse die Rekonstruktion eines gewaltigen Sauriers («bipedisch, aber auch der quadrupedischen Fortbewegung fähig») und etliche Skelette afrikanischer und asiatischer Elefanten links liegen. Auch durch die Vitrinen mit Vögeln und Insekten Australasiens ließ er sich nicht lange (wenn überhaupt) aufhalten. Ein Durchgang, flankiert von dem Standbild des Prinzgemahls auf der einen und einem prall ausgestopften Straußenvogel auf der anderen Seite, führte aus dem University Museum ins Pitt Rivers Museum. Dort wandte Morse sich nach rechts und klopfte an die Tür mit der Aufschrift Direktion.

    «Kaffee?» fragte sie einladend.
    «Nein, danke, ich hatte

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