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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Handschuh. Und so schnell wie möglich bekommen Sie einen Termin... sind Sie übrigens privat versichert?»
    «Wie meinen Sie?»
    «Schon gut. Sie bekommen Ihren Termin so bald wie möglich. Ein harmloser Eingriff, wir richten den Knochen und legen ihn für eine Woche in Gips. Wenn Sie Glück haben, sind Sie in vierundzwanzig Stunden wieder draußen.»
    «So einfach ist das aber nicht, Herr Doktor. Mein Mann war ein paar Tage im Krankenhaus, er hatte eine Herzattacke und ist erst heute früh heimgekommen, und da...»
    «Wir können Ihnen häusliche Pflege vermitteln.»
    «Aber ein bißchen was kann ich doch machen, nicht?»
    «Davon würde ich, wie gesagt, dringend abraten. Können Sie sich nicht für ein, zwei Tage in der Woche eine Putzfrau nehmen?»
    «Ich bin Putzfrau», sagte Brenda Brooks mit einem Gefühl der Erleichterung. Endlich hatte sie die Orientierung und damit ihre Identität wiedergefunden.
    Sie fuhr auf dem schnellsten Wege nach Hause und schloß auf — mit der linken Hand, weil jede Bewegung mit der rechten schmerzte.
    «Ich bin wieder da, Ted!»
    Im Wohnzimmer lümmelte sich ihr Mann vor dem Fernseher und zappte durchs Programm.
    «Wo warst du bloß so lange?»
    Brenda biß sich auf die Lippen. «Ich mußte warten, sie hatten einen Notfall.»
    «Nach der Schau, die du hier abgezogen hast, hab ich schon gedacht, daß du der Notfall bist.»
    «Bohnen in Tomatensoße zum Mittag — ist dir das recht?»
    «Bohnen in Tomatensoße? Ich hör wohl nicht richtig...»
    «Dafür gibt’s dann was Schönes zum Abendessen.»
    Sie holte eine Dose Bohnen vom Vorratsregal, hielt sie mit der rechten Hand unter den Dosenöffner neben der Küchentür und drehte langsam mit der linken Hand den Griff.
    Kaum jemand hätte sich gewundert, wenn Brenda Brooks früher oder später Mordgedanken gekommen wären. Als Außenstehender hätte man als Hauptmotiv Kummer über die entwürdigende Behandlung durch ihren Mann vermuten können. Brenda selbst empfand das nicht so. Zeitlebens hatte man sie immer nur gedemütigt und klein gehalten, sie hatte nie eine Würde besessen, die er ihr hätte nehmen können. War es dann vielleicht die Ahnung, daß ihr Mann seine hübsche heranwachsende Stieftochter mißbraucht hatte, was — vielleicht ganz unbewußt — ihren Haß schürte?
    Nein, im Grunde war es viel simpler. Eins gab es in ihrem Leben, das ihr Freude machte, worauf sie stolz sein konnte: daß sie so geschickte Hände hatte, daß sie mit ihnen kleine Kunstwerke zaubern konnte — auch wenn sie nur aus Zuckerguß waren. Diese Möglichkeit hatte Edward ihr genommen; er hatte ihr noch das Wenige geraubt, was sie besaß, woran sie hing.
    Und das konnte sie ihm nie verzeihen.
    So ausführlich, dachte Brenda, brauchte sie Mrs. Stevens das alles nicht zu erzählen, aber sie mußte ihr natürlich sagen, warum sie gestern nicht hatte kommen können. Als er erfuhr, daß sie von Mrs. S. zum Essen eingeladen war, hatte er geblafft:
    «Denk bloß nicht, daß du mich mittags allein lassen kannst, so angeschlagen wie ich bin.»
    Warum hatte sie diesen Mann überhaupt geheiratet?
    Sie hatte gewußt, daß es ein Fehler war. Während der bedrückenden Trauung hatte sie den lieben Gott angefleht, bei der altehrwürdigen Frage nach etwaigen Ehehindernissen aus der Höhe des Kirchenschiffes ein donnerndes Halt! zu rufen, aber alles war still geblieben. Schweigend hatten die geladenen Gäste rechts und links vom Mittelgang gesessen, und der Sohn von Brendas einziger Schwester (die Posthalterin in Inverness war), ein junger Mann mit vielen Pickeln, aber einem wunderschönen Knabensopran, hatte das «Pie Jesu» aus Faurés Requiem angestimmt.
    Oft fällt es einem Menschen schwer, sich zu dem aufzuraffen, was er als Pflicht erachtet. Für Brenda aber wäre es noch schwerer gewesen, sich einer — wenn auch drückenden — Verpflichtung zu entziehen.

    Abends war Ted Brooks dann eher milde gestimmt. Er fühlte sich bedeutend wohler, so daß er sich wieder in die große weite Welt hinaustraute — will sagen in den East Oxford Conservative Club, der bequem zu Fuß zu erreichen war. Ein bißchen mit den Kumpels klönen, sagte er, ein Bier trinken, vielleicht eine Partie Billard spielen. Auch einen Bissen essen würde er dort, ihre Bohnen in Tomatensoße könne Brenda sich sonstwohin stecken.
    Sie mußte sich fast ein Lächeln verkneifen, als sie unter dem Vorwand, in dem Laden an der Ecke schnell noch einen Liter Milch holen zu wollen, aus der nächsten

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