Die Leichenstadt
meine ich das nicht«, erklärte Suko. »Ich dachte da an andere Spinnen.« Er breitete Daumen und Zeigeringer aus. »Ungefähr so groß und von einer graugelben Farbe.«
Zuerst hatte die Schwester gelächelt. Dann zerfaserte dieser Ausdruck. Sie schüttelte den Kopf und erkundigte sich mit sehr weltlichen Worten, ob sie hier auf den Arm genommen werden sollte.
»Nein, das nicht. Meine Frage ist schon berechtigt, Schwester.«
»Was Sie mir allerdings erklären müßten«, sagte die Schwester sofort.
»Später vielleicht, denn…«
Jetzt hören Sie mal auf zu reden und lassen Sie uns handeln. Resolut schob die Schwester den Inspektor zur Seite und faßte nach der Türklinge. Suko hätte sie vielleicht noch wegstoßen können, aber er brachte es einfach nicht fertig. Dafür rutschte seine Hand, als die Schwester die Tür aufstieß, unter die Jacke, wo er den Griff der mit Silberkugeln geladenen Beretta umfaßte. Er drehte sich und schaute an der Schulter der Schwester vorbei in das Zimmer.
Es war völlig normal!
Suko verstand die Welt nicht mehr. In dem Bett lag die dunkelhaarige Jennifer Moore. Zugedeckt bis zum Hals, und es hielt sich auch keine einzige Spinne mehr im Zimmer auf.
»Hallo, Jennifer«, sagte Schwester Bonifatia, »geht es dir gut, meine Kleine?«
»Ja, Schwester, ja…«
Zwischen Bett und Tür blieb die Frau stehen und drehte sich um. Sie schaute Suko an, wobei sie den Kopf schüttelte. »Tut mir leid, Inspektor, aber ich sehe hier keinen Grund für Ihre etwas seltsame Reaktion.«
»Ich auch nicht«, gab der Chinese zu.
»Und trotzdem haben Sie fluchtartig kehrtgemacht.« Sie dachte nach und legte dabei ihren Finger gegen die Stirn. »Zudem haben Sie mir etwas von Spinnen erzählt. Haben Sie hier eine Spinne gesehen?« Sie schaute sich um, wobei sie sich im Kreis drehte.
Eine? wollte Suko fragen, doch er behielt es lieber für sich. Niemand hätte ihm geglaubt. Zudem wußte er selbst, wie es kam, daß die Spinnen so plötzlich verschwunden waren. Da mußte irgend etwas vorgefallen sein, während er sich draußen vor der Tür mit der Schwester unterhalten hatte.
»Wenn Sie wollen, können Sie jetzt mit dem Kind reden. Sie erlauben doch, daß ich dabeibleibe?«
»Selbstverständlich«, sagte Suko, nickte, holte sich einen Stuhl und nahm neben dem Bett Platz.
Jennifer schaute ihn aus großen, dunklen Augen an. Sie lächelte sogar ein wenig. Ihre Lippen allerdings waren ebenso blaß wie die übrige Gesichtshaut. Das Mädchen schien krank zu sein.
Auch Suko lächelte, während er fragte: »Erkennst du mich noch, Jennifer?«
»Wer bist du denn?«
»Ich war doch mit John Sinclair in Darkwater. Wir haben uns getroffen, nachdem du aus der Kirche gekommen bist.«
Die Kleine überlegte so intensiv, daß sie ihre Stirn in Falten legte.
»Denk mal genau nach«, sagte Suko.
»Du hast ihn gehauen«, sagte sie plötzlich.
Suko zuckte zusammen. Ja, da hatte Jennifer recht gehabt. Er hatte seinem Freund tatsächlich einen Schlag auf den Schädel gegeben, denn Suko war ebenfalls in den Bann dieses grünen Strahls geraten. Nur John Sinclair nicht, da ihn das Kreuz schützte.
»Nun bin ich da, um dir zu helfen, Kleine«, erklärte Suko.
Jennifer schaute ihn prüfend an. Hinter ihrer kleinen Stirn arbeitete es. Dann schüttelte sie den Kopf. »Du bist nicht deshalb gekommen.«
»Weshalb dann?«
»Um mich mitzunehmen.«
»Wohin sollte ich dich mitnehmen?«
»Zu meinen Eltern, die mich immer nachts besuchen.«
»Wirklich?« Jetzt wurde es interessant, und Suko hoffte, daß Jennifer auch weitererzählte. »Siehst du sie dann in deinem Zimmer, kleine Jenny?«
»Sie kommen durch den grünen Strahl, und sie bringen mir immer etwas mit.«
»Was denn?«
Die Kleine begann zu lächeln, bevor sie sagte: »Spinnen!«
Das war selbst für Suko eine Überraschung, denn mit dieser Antwort hätte er nicht gerechnet. Er drehte den Kopf und warf der Schwester einen raschen Blick zu.
Die Frau nickte. »Es ist eben ihr Traum«, erklärte sie. Suko beließ es bei dieser Antwort, obwohl er an einen Traum nicht so recht glauben wollte.
»Und was machen deine Eltern, wenn sie bei dir sind?« wandte sich der Inspektor wieder an das Mädchen.
»Sie erzählen von einem anderen Land.«
»Wie heißt es denn?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Den Namen haben sie nie gesagt. Aber da ist alles anders. Da gibt es ein grünes und ein blaues Licht, das alles einhüllt. Und da gibt es seltsame Menschen mit flammenden Haaren
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