Die Leichenstadt
ein seltsames Rauschen war ebenfalls zu vernehmen, und wir glaubten auch, Stimmen zu hören.
»Da spricht jemand«, hauchte Neeler.
Ich gab keine Antwort, denn ich konzentrierte mich voll auf die Stimmen. Es war leider nicht zu unterscheiden, ob Frauen oder Männer sprachen. Wir sahen auch nichts, aber das änderte sich, denn in die Bildschirme kam Bewegung.
Zuerst verstärkte sich die Farbe. Sie wurde graugrün, wirkte nicht so tot, und plötzlich sahen wir auch Umrisse.
Nur schwach, mehr verwischend, wir konnten nichts Genaues erkennen, aber eins war sicher. Die Monitore gaben das Bild wieder, das sich außerhalb des U-Bootes zeigte.
Und das ohne Energie.
Neeler war völlig durcheinander. Er schüttelte den Kopf, konnte es nicht begreifen und holte ein paarmal tief Luft. »Wir haben die Geräte doch nicht eingeschaltet, wir…« Er verstummte, denn plötzlich wurde das Bild klarer.
Wir konnten besser sehen.
Und wir erkannten die Umrisse einer Stadt. Es war die Leichenstadt!
***
Ich muß ehrlich gestehen, daß mir bei der ganzen Sache nicht wohl war. Ein bedrückendes Gefühl hielt mich umfangen. Ich fühlte es kalt den Rücken hinablaufen, und auch mein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Noch wußte ich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit, ob ich es mit der Leichenstadt zu tun hatte, aber es war höchstwahrscheinlich. Eine andere kam für mich nicht in Frage.
Meine Hände zitterten, als ich genauer hinschaute. Sehr klar und scharf zeigten die Monitore das Bild.
Neeler und ich erkannten gewaltige Gebäude. Manche besaßen die Formen von Pyramiden, andere wiederum sahen aus wie viereckige Klötze, in denen sich seltsame runde Löcher befanden, die mich an leere Augenhöhlen erinnerten. Es gab auch Brücken, die die Gebäude miteinander verbanden, aber Menschen sahen wir nicht. Noch nicht…
Aus Gründen der Erfahrung ging ich davon aus, daß die Leichenstadt bewohnt war. Und zwar von gefährlichen Dämonen, an dessen Spitze vielleicht Kalifato, der Todesbote, stand.
Gut erinnerte ich mich an den Strahl, der aus seinem Maul gekommen war und die Menschen eines kleinen englischen Ortes an sich gerissen hatte. [2]
Die Bewohner von Darkwater waren in die Leichenstadt gerissen worden. Bisher hatte man nichts mehr von ihnen gehört. Ihr Dorf war zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden und wurde bewacht. Ich hatte immer gehofft, auf die Menschen zu treffen. Würde sich diese Hoffnung bald erfüllen?
»Was ist das?« hauchte Neeler.
Ich lachte leise. »Das müßten Sie doch wissen, Kapitän. Haben Sie die Stadt nicht schon gesehen?«
»Ja, zweimal.«
»Ist sie das?«
»Haargenau.«
»Na bitte. Dann haben wir sie doch.«
Er schluckte und räusperte sich. »Wir… wir stehen ja inmitten der Stadt, Sinclair. Mein Gott, das kommt alles so plötzlich. Auf einmal sind wir da. Wie war das möglich?«
»Keine Ahnung. Es kann natürlich sein, daß es hier unter Wasser eine Dimensionsverschiebung gegeben hat.«
»Und was ist die Folge?«
»Wir sind Gefangene der Leichenstadt.«
»Was sagen sie da?« Er schaute mich erstaunt und ängstlich an. »Leichenstadt?«
»So heißt sie.«
»Dann kennen Sie die Stadt?«
»Kennen ist zuviel gesagt. Ich habe zumindest davon gehört. Sie ist übrigens über 10 000 Jahre alt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nein, nicht.«
»Dann lassen wir das.«
»Mann, Sinclair, Sie machen mich wahnsinnig mit Ihrer Geheimnistuerei. Was hat es mit dieser verfluchten Stadt auf sich?«
»Wahrscheinlich bekommen wir auf diese Frage eine Antwort, wenn wir mit den Bewohnern der Stadt Kontakt gehabt haben.«
»Bewohnt ist sie auch?«
Ich grinste. »Was denken Sie denn?«
»Aber wer lebt darin?«
»Menschen, Dämonen, Geister. Rechnen Sie mit allem, Kapitän. Auch mit dem Unglaublichen.«
Er stöhnte auf. »Können Sie mir erklären, wie ich das meinen Leuten beibringen soll?«
»Nein.«
Er stierte mich an. »Sie sind vielleicht gut, Mann.«
»Es ist Ihr Job.«
Unsere Unterhaltung verstummte, denn ein Ereignis trat ein, mit dem wir fast nicht mehr gerechnet hatten.
Das Boot bewegte sich.
Zuerst gab es wieder den uns altbekannten Ruck. Dann glitten wir langsam in die geheimnisvolle Leichenstadt hinein. Dirk Neeler schüttelte den Kopf und stöhnte auf. Dabei raufte er sich noch die Haare. »Das ist doch nicht möglich!« keuchte er, »da werde ich irre…«
Jemand stieß die Tür auf. Es war der Erste Offizier. Im Durchgang blieb er stehen und starrte in die
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