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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ihm traurig zumute
     war, nahm er es zur Hand und las eines der Märchen. Aber jetzt war er nicht einmal mehr imstande zu lesen, er starrte auf
     die geliebten, seit derKindheit vertrauten Zeilen und dachte an die Ereignisse in Sibirien.
    Es war bereits ein russischer Polizeibeamter bei ihm gewesen, ein freundlicher Mann mit einem komischen Familiennamen: Sitschkin.
     Mit Vornamen hieß er ebenfalls Michael.
    Er sprach kein Wort Englisch und wurde von einem blutjungen Übersetzer begleitet. Das Gespräch, das sie führten, war kurz
     und unergiebig.
    »Mister Barron, wir möchten Sie bitten, noch ein paar Tage zu bleiben«, sagte er, und Michael fiel auf, wie verwirrt und schuldbewußt
     er dabei aussah. »Wir haben nicht das Recht, es zu fordern. Wir bitten nur darum. Lenas wegen.«
    »Ich fahre nicht eher ab, als bis ich Mrs. Poljanskaja mit eigenen Augen gesehen habe. Ich muß wissen, daß es ihr gut geht.
     Schließlich war ich es, der sie gebeten hat, mich nach Sibirien zu begleiten.«
    »Wir befürchten, daß sie entführt worden ist«, teilte der russische Polizist finster mit.
    Natürlich, dachte Michael, zuerst wühlen sie in unseren Sachen herum und klauen eine Dose Talkumpuder, und dann entführen
     sie einen Menschen. Was hatte sich dieser Tschekist Sascha, dieser Gogol-Liebhaber, nur dabei gedacht? Michael brachte er
     geschickt in Sicherheit, aber Lena überließ er irgendwelchen unbekannten Banditen zum Fraß. Überhaupt wirkten alle diese jungen
     Männer des Ex-KGB auf Michael nicht eben vertrauenerweckend – weder der Spaßvogel Sascha noch der finstere Typ, der Michael
     nach Moskau begleitet hatte. Sitschkin gefiel ihm erheblich besser, aber seine größten Hoffnungen setzte Michael auf Lenas
     Ehemann. Immerhin ein Oberst. Der hatte bestimmt ganz andere Möglichkeiten, und vor allem, er suchte nach der eigenen Frau,
     nicht nach einer fremden, außenstehenden Person.
    Als ein mittelgroßer hellblonder Mann mit Anzug beiMichael im Hotelzimmer erschien und in ganz passablem Englisch sagte: »Guten Tag, Mister Barron, ich bin Oberst Krotow, der
     Mann von Jelena Poljanskaja«, atmete Michael erleichtert auf.
    Gleich nach Krotow trat der schon bekannte junge Dolmetscher ein.
    »Sie sprechen gut Englisch«, bemerkte Michael leise, »wozu ein Dolmetscher?«
    »Mein Wortschatz ist noch zu klein. Eigentlich kann ich die Sprache gar nicht, aber nach zwei Wochen London fängt man unwillkürlich
     an, Englisch zu sprechen«, sagte Sergej freundlich lächelnd.
    Der Dolmetscher mischte sich nur hin und wieder in ihr Gespräch ein, um Sergej einzelne Worte zu soufflieren.
    »Ich begreife nicht«, sagte Michael aufgeregt, »warum der FSB sie nicht gewarnt hat, obwohl er die Gefahr kannte! Der Vorfall
     mit dem Talkumpuder und die Durchsuchung unserer Zimmer war doch ein ernstes Zeichen. Ich werde das Gefühl nicht los, daß
     Lena absichtlich als Lockvogel benutzt worden ist – warum und wozu, ist mir allerdings völlig unklar.«
    »Michael, bitte erzählen Sie mir ganz ausführlich alles, was in Sibirien geschehen ist«, bat Krotow.
    »Ich glaube, ich muß schon mit Moskau anfangen«, erklärte Michael erregt. »Vorher habe ich gar nicht darüber nachgedacht und
     keinen Zusammenhang gesehen. Aber jetzt – wissen Sie, es hat nämlich jemand versucht, nachts in die Wohnung einzubrechen.«
    Sergej fiel auf, daß der Professor in seinem ausführlichen Bericht mit keinem Wort den Mann im Mercedes erwähnte, der sie
     den ganzen Tag durch Moskau kutschiert und in einen Privatclub geführt hatte. Er selber hatte es von Mischa erfahren und der
     wiederum von Major Ijewlew.
    Der Alte will Lena nicht bloßstellen, amüsierte sich Krotow insgeheim, er meint, es handelt sich möglicherweisenicht um rein freundschaftliche Beziehungen, und schweigt sich über Wolkow vorsichtshalber aus. Eine Anstandsdame mit Bart
     und Glatze!
    »Sie ist bei der Bibliothekarin im Altersheim geblieben«, wiederholte Sergej nachdenklich den letzten Satz des Professors,
     »bei Valentina Gradskaja …«
    »Ja«, Michael nickte, »und dieser Sascha wußte bestimmt, daß man sie dort nicht hätte lassen dürfen.«
    Aus den bizarren Details hatte sich nun endlich ein halbwegs deutliches Bild geformt. Der Bericht von Michael ergänzte es
     um die letzten, noch fehlenden Teile. Nur eins war immer noch unklar: Was hatte Locke, der legendäre Pate der Taiga, mit alledem
     zu tun?
    ***
    Spät am Abend wurde Lena in ein anderes Zimmer gebracht,

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