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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Zahnpasta, frische Wäsche, eine heiße Dusche und einen Kamm bitten«, dachte Lena fröhlich,
     »sonst sehe ich bald aus wie ein Penner.«
    Jetzt wußte sie das Wichtigste: Lisa war nicht mehr in Gefahr. Sie vergaß plötzlich, wo sie sich befand, wollte nicht mehr
     daran denken, was ihr jeden Augenblick zustoßen konnte. Sie brauchte eine kurze Erholungspause, ein bißchen Ruhe und Freude.
    Sie wusch sich mit warmem Wasser und Seife, spülte sich den Mund aus, legte sich den zusammengerollten Pullover unter den
     Kopf und deckte sich mit der Jacke zu. Ist Wassja Slepak wirklich ein Killer geworden, noch dazu ein so gefährlicher? dachte
     sie und war im selben Moment eingeschlafen. Das Licht der nackten Glühbirne unter der Decke störte sie nicht im mindesten.
    Gegen Morgen wurde sie geweckt.
    »Steh auf, zieh dich an«, hörte sie eine grobe Männerstimme und öffnete die Augen.
    Vor ihr stand der Bandit Wadik. Sie ärgerte sich, daß sie ohne Jeans eingeschlafen war. In Strumpfhose und Unterhemd genierte
     sie sich vor diesem jungen Ganoven, der sie zu allem Überfluß auch noch dreist anglotzte und grinste.
    »Dreh dich um«, sagte sie.
    »Hab dich nicht so«, gab er zurück und glotzte weiter auf ihre Beine, »du siehst doch ganz gut aus, ehrlich. Wie alt bist
     du?«
    »Siebzig«, giftete Lena ihn an. »Ich könnte deine Großmutter sein. Gib mir meine Jeans, Enkelchen. Sie hängen auf dem Stuhl.«
    »Ganz schön frech bist du«, brummte der Bandit, reichte ihr aber die Jeans.
    »Und jetzt«, sagte Lena, nachdem sie sich angezogen und die Stiefel zugeschnürt hatte, »möchte ich mich waschen und mir die
     Zähne putzen. Sei bitte so nett und bring mir Zahnpasta und Zahnbürste. Es wird hier doch hoffentlich eine neue, ungebrauchte
     Zahnbürste geben?«
    Einige Augenblicke starrte Wadik sie stumm und verständnislos an.
    »Was ist los mit dir, bist du festgewachsen?« nörgelte Lena weiter. »Hat man dir als Kind nicht beigebracht, daß man sich
     morgens und abends die Zähne putzen muß? Ich kann nicht mit deinem großmächtigen Chef sprechen, ohne mir die Zähne geputzt
     zu haben.«
    »Äh … gleich.« Er ging zur Tür und schrie, noch bevor er ganz aus dem Zimmer heraus war, in den Flur: »He, Salziger! Die stellt
     hier Ansprüche!«
    Offenbar konnte er dieses schwierige und unvorhergesehene Problem nicht allein lösen.
    »Einen Kamm hätte ich auch noch gern, möglichst auch einen neuen!« rief Lena ihm hinterher.
    Erstaunlicherweise kam er schon nach zehn Minuten zurück und brachte alles, was sie verlangt hatte.
    »Danke«, sagte Lena mit gnädigem Nicken, »jetzt fehlt nur noch ein Spiegel, eine heiße Dusche und frische Wäsche.«
     
    Der Glatzkopf saß wieder im Wohnzimmer, im selben weißen Ledersessel. Wieder waren die schweren dunklen Vorhänge fest zugezogen.
     Was dahinter war – eine Stadt, ein Dorf oder die Taiga –, blieb unsichtbar.
    »Guten Morgen«, sagte sie und setzte sich ruhig ihm gegenüber.
    »Grüß dich«, sagte er und nickte ihr zu. »Na, bist du zur Vernunft gekommen?«
    »Zuerst einmal haben Sie sich noch gar nicht vorgestellt. Um mit Ihnen zu sprechen, muß ich wissen, wie ich Sie anreden kann.«
     Lena sah ihm gerade in die gelben, nackten, nicht zwinkernden Augen.
    »Du kannst mich Wladimir Michailowitsch nennen. Oder Locke. Was dir besser gefällt.«
    »Sehr angenehm, Wladimir Michailowitsch.« Lena versuchte, liebenswürdig zu lächeln. »Ich muß Sie warnen, es ist ein langes
     und vertrauliches Gespräch, das uns bevorsteht.«
    Der an der Tür stehende Bandit Wadik schnaubte verächtlich.
    »Und daher«, fuhr Lena fort, »könnten wir beide zuerst einmal einen Kaffee brauchen. Ein Frühstück wäre auch nicht übel.«
    »Du plusterst dich ja reichlich auf, meine Hübsche«, sagte der Glatzkopf. »Aber wie du willst. He, Wadik«, wandte er sich
     an den Banditen, »bring uns Kaffee und was zu futtern.«
    »Sagen Sie, Wladimir Michailowitsch«, fragte Lena, als sie allein waren, »war es Regina Valentinowna Gradskaja, die Ihnen
     von meinem Besuch erzählt hat?«
    Angriff, dachte sie, ist die beste Verteidigung. Sie wollte versuchen, selber Fragen zu stellen, und nicht auf seine Fragen
     warten.
    Seine erste Reaktion war ein ziemlich langes, angespanntes Schweigen und ein durchdringender Blick direkt in ihre Augen. Aber
     sie hielt sowohl das Schweigen wie den Blick ruhig aus.
    »Das sind Dinge, Mädchen, die dich nichts angehen«, sagte er schließlich heiser und

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