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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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jetzt hüten wie unseren Augapfel, sie ist für uns so etwas wie das goldene Schlüsselchen.
     Wie in dem Märchen von Buratino, erinnerst du dich?«
    Ninas kräftige, warme Hände kneteten mit fließenden Bewegungen Lockes behaarten Rücken. Unter dem grauen Flaum schimmerte
     eine prächtige, mit farbiger Tusche eintätowierte Kathedrale mit drei Kuppeln.
    »Weißt du, Kätzchen, was mir klargeworden ist, als sie mir das alles erzählt hat? Nein, das weißt du nicht, darauf kommst
     du nicht im Traum!« Er wälzte sich ächzend auf den Rücken, faßte nach Ninas Händen, preßte die kräftigen Gelenke und zog das
     Mädchen an sich.
    Ihr liebevolles Gesicht war nun ganz nah. Die glatten blonden Haare fielen kitzelnd auf seine Schulter.
    »Ich werde alt«, hauchte er auf ihre weichen, stummen Lippen. »Küß mich.«
    Sie blickte ihn an und rührte sich nicht.
    »Komm, Kätzchen, fang selber an, tu wenigstens einmal so als ob. Mir ist so schwer ums Herz.«
    Sie glitt aus seinen Armen und begann, ihre lange Seidenbluse aufzuknöpfen.
    »Und weißt du, Nina, warum mir so schwer ist – weil ich noch vor zehn Jahren dieses Scheusal eigenhändig umgebracht hätte,
     wie das Gesetz der Diebe es vorschreibt«, fuhr er fort und sah zu, wie die Bluse, der hautenge Jeansrock und die durchsichtige,
     fleischfarbene Strumpfhose nacheinander auf den Wollteppich fielen. »Für so einen ist auf der Erde kein Platz und in der Zone
     erst recht nicht. Sechs Mädchen! In der Zone verzeihen sie nicht ein einziges, da wird er sofort geächtet.«
    Nina stand nackt vor ihm und fröstelte schon, doch er redete immer weiter.
    »Weißt du, wieviel der Konzern wert ist?« Er kniff die Augen zusammen. »Das wird alles mir gehören! Sie werden es herausrücken,
     ohne auch nur zu mucksen, wenn sie erfahren, welches Vögelchen hier bei mir im Käfig sitzt. Sie fürchten ja nicht den Prozeß
     oder die Staatsanwaltschaft. Sie fürchten die Schande, die schlimmer ist als der Tod. Und ihre Schande sitzt munter und gesund
     bei mir und verlangt nach Bettdecke und Kopfkissen. Diese Poljanskaja hat mir direkt in die Hände gearbeitet, und Regina hat
     sie mir auf dem Silbertablett kredenzt wie den Schlüssel zum Geldschrank.«
    Nina begann sich unauffällig wieder anzuziehen, ohne daß Locke es merkte, so sehr hatte er sich in Fahrt geredet.
    »Reginas Fehler besteht darin, daß sie überzeugt ist, niemand auf der Welt sei klüger und gerissener als sie, daß sie meint,
     sie könne jeden austricksen, sogar mich. Aber da hast du dich verrechnet, mein Herzchen!« Er schüttelte seine große, behaarte
     Faust mit obszöner Geste in der Luft. »Viele hat sie tatsächlich hereingelegt. Aber mich wird sie nicht bescheißen!«
    Die Faust krachte auf den harten Rand der Liege. Die dicken Finger öffneten sich, und die Hand fiel kraftlos herunter.
    »Aber ich werde alt. Jede Menge Knete, aber keinSchwung, kein Feuer mehr, nur noch glimmende Kohle. In früheren Zeiten hätte ich Regina zusammen mit ihrem widerlichen Komsomolzen
     mit Genuß an der Wand zerquetscht und auf ihr Vermögen gespuckt. Einem ehrlichen Dieb ist die Ehre kostbarer als alles andere.
     Aber ich bin nicht mehr derselbe wie früher. Und die Zeiten sind auch nicht mehr dieselben. Das ist nicht mehr meine Zeit.
     Wieso hast du dich wieder angezogen, Nina? Frierst du, mein Kätzchen? Komm her, Pfötchen, sei ein bißchen nett zu mir. Ich
     werde dich auch wieder aufwärmen.«

Kapitel 37
    Das Zimmer im Hotel »Sowjetskaja« auf der Leningrader Chaussee war gar nicht übel. Michael hätte dort in Ruhe einige Tage
     wohnen und arbeiten können. Er hätte noch einmal in die Tretjakow-Galerie gehen können, ins Puschkin-Museum, ins Bolschoi-Theater.
     In Moskau gab es genug Interessantes zu sehen! Aber er hatte keine Lust mehr, wegzugehen. Er hatte auch keine Lust, zu arbeiten
     oder die Tonbandaufzeichnungen der sibirischen Gespräche abzuhören. Überall war Lenas Stimme zu hören, sie übersetzte die
     Berichte der Wissenschaftler, Kunsthistoriker, Altgläubigen, Museumsangestellten. Sofort wurde Michael traurig und machte
     sich Sorgen. Womöglich war Lena gar nicht mehr am Leben? Er war es gewesen, der sie überredet hatte, mit ihm nach Sibirien
     zu fahren.
    Zwei Tage hintereinander lag Michael auf dem Bett im Hotelzimmer und las die Märchen von Oscar Wilde. Dieses alte, zerfledderte
     Buch, das schon seiner Mutter gehört hatte, pflegte er seit vielen Jahren immer bei sich zu haben. Wenn

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