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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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natürlichen Haar
     paßten. Die Solotänzerin trug ihren eigenen dicken Zopf. Das Mieder des blauen Sarafans umspannte ihre schmale Taille, der
     weite Rock wehte hoch über den schlanken, langen Beinen.
    Wenja sah ihr gerötetes, längliches Gesicht, die fröhlichen hellblauen Augen direkt vor sich. Etwa sechzehn mochte die Kleine
     sein. Die Malyschewa hielt es nicht länger aus und klatschte der Solistin begeistert Beifall.
    »Unsere Tanja Kostyljowa ist wirklich ein Naturtalent«, sagte der Direktor des Pionierpalastes stolz. Er saß neben den Kommissionsmitgliedern
     und beobachtete aufmerksam ihre Reaktion.
    Die Musik hatte aufgehört. Die Kinder auf der Bühne erstarrten für einen Augenblick in den feierlichen Posen des Finales.
     Im Saal saßen nicht mehr als zehn Leute. Alle applaudierten. Alle, außer Wenjamin Wolkow. Er saß regungslos da und starrte
     die blauäugige Solistin an. In seinen Ohren rauschte es: »Tanja Kostyljowa, Tanja Kostyljowa …«
    »Du bist ein Banause, Wolkow!« Galja zuckte empörtihre molligen Schultern. »Wenigstens einmal könntest du doch klatschen!«
    Die »Russische Quadrille« war die letzte Nummer des Konzerts. Anschließend begaben sich die Kommissionsmitglieder ins Büro
     des Direktors und erörterten bei einer Tasse Tee das Konzertprogramm.
    »Na, was sagt der Komsomol?« fragte der Direktor, als er sich am Kopfende der reichlich gedeckten Tafel niederließ. »Bedient
     euch, Genossen, der Samowar ist heiß. Wie möchten Sie Ihren Tee, Wenjamin Borissowitsch, eher stark?«
    Tote werden nicht wieder lebendig, dachte Wenja und nickte dem Direktor mechanisch zu. Ich bin nicht verrückt geworden. Alles
     ist ganz einfach. Tanja Kostyljowa hatte einen Bruder, Sergej, glaube ich. Dieser Sergej kann durchaus eine Tochter im gleichen
     Alter haben. Und es ist gut möglich, daß er sie zu Ehren seiner toten Schwester Tatjana genannt hat. Was ist erstaunlich daran,
     daß das Mädchen ihr so ähnlich sieht? Gar nichts. Schließlich sind sie ziemlich eng miteinander verwandt.
    »Wenjamin, ist Ihnen nicht gut?« fragte ihn die Leiterin der Tanzgruppe, eine ältere Frau, leise. »Sie sind ganz blaß.«
    »Wie? Was?« Er schrak zusammen. »Nein, ich fühle mich völlig wohl.«
    So geht das nicht, ich muß mich im Griff haben, dachte er und rang sich ein Lächeln ab. Sonst gibt es ein schlimmes Ende.
    »Ein ausgezeichnetes Konzert«, sagte er laut. »Besonders gut ist die Tanzgruppe. Galja hat recht, die Kinder muß man zu den
     Regionalwettbewerben schicken, vielleicht sogar nach Moskau. Auch der Chor ist gar nicht übel, aber man sollte außer den Revolutions-
     und Pionierliedern noch irgendein fröhliches Kinderlied ins Repertoire nehmen, besonders, wenn die Kleineren auftreten. Und
     die Rezitatoren könnten etwas festlicher angezogen sein. Sonst habe ich nichts anzumerken.«
    Er bedachte die Anwesenden mit einem charmanten Lächeln.
    Nach dem Tee führte sie der Direktor durch alle fünf Stockwerke des Gebäudes. Die Tür zur Aula stand einen Spaltbreit offen,
     ihnen dröhnte ohrenbetäubend laute Rock-Musik entgegen. Sie spähten in den Saal und erblickten Tanja Kostyljowa auf der Bühne.
     Im braunen Schulkleid, ohne die schwarze Schürze, tanzte sie einen wilden Rock’n’Roll zu einem Elvis-Presley-Schlager. Ihr
     Partner, ein hochgewachsener schlanker Junge, drehte und warf sie so leicht wie eine Feder. Die offenen aschblonden Haare
     flogen hoch und ergossen sich über das grobe braune Kleid, fielen ihr ins schmale gerötete Gesicht. Die Lippen leicht vorgeschoben,
     blies das Mädchen sich immer wieder die Haare aus der Stirn.
    »Ich hoffe, das wollen Sie nicht ins Konzertprogramm aufnehmen?« sagte Wenja mit einem Lächeln zum Direktor.
     
    Jene andere Tanja, die Tante der Solistin, war ebenfalls eine gute Tänzerin gewesen. Auch sie hatte leuchtendblaue Augen und
     lange, dichte aschblonde Haare. In ihrer Klasse galt sie als das hübscheste Mädchen. Wenja Wolkow hingegen war ein häßliches
     Entlein. Erst in der neunten Klasse änderte sich das.
    Im Laufe eines Sommers wuchs er sieben Zentimeter. Seine Schultern wurden breit, seine Stimme tief. Er begann sich zu rasieren.
     Mit Erstaunen entdeckte er, daß die Mädchen ihm hinterherschauten.
    Erfolg bei den Mitschülerinnen hatten eher die schlechten Schüler, die Rowdys und Möchtegernganoven. Sie rauchten, tranken
     Portwein, spuckten schneidig durch die Zähne, fluchten nach jedem zweiten Wort und fürchteten

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