Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
ich will das nicht, nicht so. Du bist ja verrückt!«
    Sie versuchte, sich loszureißen. Er merkte selber nicht, wie seine Hände sich um ihren zarten Hals legten. Sie wollte sie
     wegziehen, versuchte, ihn mit dem Knie zu stoßen. Erbittert kämpften sie gegeneinander, wie zwei Tiere, die einen Kampf auf
     Leben und Tod ausfechten.
    Mit dem letzten Rest seines schwindenden menschlichen Bewußtseins begriff Wenja, daß er genau das wollte, genau darauf gewartet
     hatte – nicht auf die Leidenschaft der Liebe, sondern auf die Leidenschaft des Todes.
    Tanja Kostyljowa war stärker als Lara. Er mußte ihr das Kleid um den Kopf wickeln. Es war aus festem weißem Crimplen und ließ
     keine Luft durch.
    Der biegsame kräftige Körper unter ihm bebte und zuckte, doch Wenja begriff gar nicht mehr, was er tat. Eine Welle heftiger,
     wilder Lust überschwemmte ihn. Ihm schien, als ströme eine neue, außergewöhnliche, unüberwindliche Kraft in ihn.
    Durch den Körper des Mädchens lief ein starkes Zittern, das ihn wie ein Blitzschlag durchbohrte. Er spürte, daß er jetzt mit
     jeder Bewegung, mit jedem Atemzug stärker wurde. Fast fühlte er sich unsterblich, während er seinen unerträglichen, tierischen
     Hunger stillte.
    Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Gesättigt, zu Bewußtsein gekommen, wickelte er das weiße Crimplenkleid auf, und
     im Licht des Mondes starrten ihn zwei unbewegliche Augen an.
    Er erschrak. Hatte er das wirklich gewollt? Konnte er nur so das gierige Tier in seiner Seele füttern? Die außerordentliche,
     unüberwindliche Kraft, die ihn jetzt erfüllte, war das Leben von Tanja Kostyljowa. Er hatte sie in sich aufgenommen, sie bis
     auf den letzten Tropfen ausgesogen. Nur so konnte er seinen unerträglichen Hunger stillen. Ein anderes Mittel gab es nicht.
     Sie war selber schuld, sie hatte ihn so lange gepeinigt und gequält, hatte mit ihm ihre widerlichen, verlogenen, romantischen
     Spiele getrieben. Es gab keineLiebe, alles war Lüge und Heuchelei. Wenn sogar die eigene Mutter sich nicht für ihn interessierte, was sollte dann dieses
     fremde Mädchen mit ihm?
    Er spürte, daß ihm heiße, bittere Tränen über die Wangen liefen. Er weinte aus Mitleid, aber nicht mit dem getöteten Mädchen,
     sondern mit sich selbst, dem kleinen braven Jungen, den niemand lieb hatte und den alle anlogen. Die Tränen brachten ihm Erleichterung.
     Sein Kopf wurde klar.
    Er blickte sich rasch um und streifte dem noch warmen Körper wieder den Slip über, zog den BH zurecht und registrierte automatisch,
     daß die Wäsche nicht zerrissen war und der Körper keinerlei Schrammen aufwies – zumindest war im Mondlicht nichts zu erkennen.
    Dann hängte er das weiße Kleid ordentlich über den Stamm einer umgestürzten Birke und stellte die zierlichen Lackpumps daneben.
     Er zog sich aus, ließ auch seine Sachen auf dem Baumstamm, schleifte die Leiche zum Fluß, stieß sie ins Wasser, in die Tiefe,
     tauchte unter den Körper und zog ihn hinter sich her.
    Das Wasser war sehr kalt. Ihm fiel ein, daß er in der Flußmitte, wo es am tiefsten war, vorsichtig sein mußte. Dort war die
     Strömung sehr stark, wenn man einen Krampf im Bein bekam, konnte man ertrinken. Im Tobol waren schon viele, und gerade gute
     Schwimmer, ertrunken. Die Suche nach den Ertrunkenen dauerte meist sehr lange, die Strömung trug sie zum breiten Irtysch,
     an dessen Ufern sich die dichte Taiga hinzog. Manchmal fand man sie auch gar nicht.
    Als er endlich wieder ans Ufer kletterte, klapperten ihm vor Kälte die Zähne. Ohne sich anzuziehen, lief er zum Ausgang des
     Parks. Er lief sehr rasch, rannte fast.
    Naß und durchgefroren stürzte Wenjamin Wolkow, Absolvent der Schule Nr. 5, der stillste, bravste und beste Schüler seiner
     Klasse, auf das Polizeirevier. Er hatte nur eine Unterhose an, übers Gesicht liefen ihm Tränen, seine Augen waren voller Verzweiflung.
    »Zu Hilfe!« schrie er. »Bitte helfen Sie! Tanja ist ertrunken! Wir waren schwimmen, es war dunkel, wir haben uns unterhalten,
     dann hat sie auf einmal nichts mehr gesagt. Ich bin getaucht und habe sie gesucht …«
    Er konnte nicht weitersprechen. Schluchzen erstickte seine Stimme.
    Die Leiche von Tanja Kostyljowa fand man zwei Wochen später weit entfernt im Irtysch.

Kapitel 6
    Moskau, März 1996
    Lena packte die Sachen ihres Mannes in eine große Sporttasche. Der Kleinbus aus der Petrowka sollte ihn in zwei Stunden abholen.
     Sergej saß im Nebenzimmer an Lisas Bett und las

Weitere Kostenlose Bücher