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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Komsomolze?«
    »Ehrlich gesagt, manchmal gruselt mich schon ein wenig.« Und wieder dieses verwirrte, schuldbewußte Lächeln.
    »Wenja! Freund meiner Seele!« schrie Mitja aus dem Nebenzimmer. »Du hast ja fast die ganze ›Bibliothek des Dichters‹!«
    Er kam mit zwei schmalen dunkelblauen Bänden in der Hand ins Zimmer.
    »Hör mal, kann ich diese hier bis zu unserer Abreise mit ins Hotel nehmen? Nur die beiden, Mandelstam und Achmatowa? Ich bürge
     mit meinem Kopf dafür.«
    »Unmöglich, mein Lieber, tut mir leid.« Wolkow hob die Arme. »Diese Bücher gebe ich nicht aus dem Haus. Du kannst sie aber
     hier lesen.«
    »Na ja, im Grunde verstehe ich dich«, seufzte Mitja, »ich würde sie auch nicht verleihen.«
    Wolkow verschwand in der Küche. Mitja und Olga vertieften sich in die Schätze seiner Bibliothek. Lena ging in den Flur, wo
     der einzige Spiegel der ganzen Wohnung hing, und kämmte sich ihre nach der Banja feuchten Haare.
    Unerwartet erblickte sie neben ihrem Spiegelbild Wolkows Silhouette. Er trat von hinten ganz dicht an sie heranund drückte sein Gesicht in ihre feuchten Haare. Sie zuckte zusammen, wollte sich ihm entziehen, aber er preßte ihre Schultern
     mit den Händen, und sie spürte, wie seine heißen, festen Lippen kitzelnd über ihren Hals glitten.
    »Wenja, in der Küche brennt etwas an«, sagte sie leise und versuchte, sich aus dem Griff seiner Arme zu befreien.
    Aber da drehte er sie mit einer jähen Bewegung zu sich herum und küßte sie gierig aufs Gesicht, auf die Augen, die Lippen.
    »Hab keine Angst vor mir«, flüsterte er wie im Fieber, »hab keine Angst. Ich liebe dich, ich tue dir nicht weh. Eher sterbe
     ich, als dir weh zu tun. Niemand auf der Welt liebt mich, bleib bei mir, rette mich.«
    Lena hatte längst begriffen, daß dieser sonderbare Komsomolze sich leidenschaftlich in sie verliebt hatte. Sie mußte zugeben,
     zuwider war er ihr nicht. Mehr noch, er war ihr sympathisch, sie fand ihn sogar interessant. Es war etwas Seltsames an ihm,
     etwas Geheimnisvolles, gruselig, aber auch erregend.
    Ich bin frei und ungebunden, schoß es ihr durch den Kopf, und gerade erst einundzwanzig. Natürlich wird daraus nichts Ernstes,
     nichts von Dauer. Viele lassen sich auf solche kurzen, heftigen Reiseabenteuer ein, damit man etwas hat, woran man sich erinnern
     kann. Er sieht gut aus, ist intelligent und charmant und völlig allein. Warum nicht?
    »Ich liebe dich … Rette mich …«
    Der Duft von gutem Tabak und einem teuren Eau de Cologne ging von ihm aus. Er preßte sie immer stärker an sich, seine Lippen
     saugten sich an ihrem Mund fest, seine heiße Hand glitt unter ihren Pullover.
    Lieber Himmel, jetzt knutschen wir schon! Ich knutsche mit einem Mann, den ich fast gar nicht kenne! dachte Lena.
    »Wenja, wo stecken Sie? Sie wollten Brot in der Pfanne rösten, es ist alles verbrannt«, rief Olga aus der Küche.
    Lena machte sich abrupt frei. Sie standen in einem Winkel neben der Eingangstür, und Olga, die aus dem Wohnzimmer in die Küche
     gerannt war, hatte sie nicht bemerkt. Oder vielleicht wollte sie sie auch nicht bemerken. Aus der Küche roch es angebrannt.
     In der Pfanne qualmten die verkohlten Brotstückchen.
     
    Den ganzen Abend starrte Wolkow Lena aus seinen hellen, durchsichtigen Augen an. Sie tranken Wodka und Sekt, die Tischdecke
     hatten sie direkt auf dem Fußboden ausgebreitet und die Teller mit gesalzenem Lachs, Stör, ungarischer Salami und finnischem
     Käse daraufgestellt. Unter den glühenden Blicken des Hausherrn blieb Lena das Essen fast im Halse stecken.
    Nein, dachte sie, mit so viel Qual und Leidenschaft kann ich nichts anfangen. Und Reiseflirts brauche ich auch nicht. Wozu?
     Einen fremden Mann zu küssen, für den man nichts weiter als Sympathie empfindet, ist absurd und peinlich. Warum hat er dauernd
     »Rette mich« gesagt, noch dazu in so einem melodramatischen Tonfall? Bestimmt finden sich reichlich Frauen, die so einen schwierigen
     Einzelgänger mit Freuden retten. Aber mir ist das zu theatralisch.
    Als sie aufbrachen, preßte Wolkow ihre Finger und sagte leise: »Kann ich Sie einen Augenblick allein sprechen, Lena?«
    Dabei schubste er sie rückwärts ins Schlafzimmer, stieß mit dem Fuß die Tür zu und wollte sie wieder heftig küssen. Doch Lena
     riß sich sofort los und stemmte sich mit beiden Händen gegen seine Schultern.
    »Wenja, hören Sie …«
    »Du sagst wieder ›Sie‹? Du willst mich doch auch, ich weiß es, ich spüre es.

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