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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Hand. »Ich laufe zum Fluß hinunter und mache es naß.«
    Lena ergriff Wolkows Hand und fühlte seinen Puls.
    »Ihr Puls geht viel zu schnell, mindestens hundertzwanzig«, sagte sie. »Sind Sie herzkrank?«
    Seine heiße Hand tastete nach ihren Fingern und drückte sie schmerzhaft. Lena schrie auf. Wolkow atmete schwer und rasch.
    »Wenja, hören Sie mich?« fragte Lena erschrocken.
    »Ja«, ächzte er, »regen Sie sich nicht auf. Mit mir ist alles in Ordnung. Ich vertrage nur überhaupt keinen Alkohol.«
    ***
    Oberleutnant Sacharow holte seine Erzählung nicht ab. Olga und Lena schliefen bis zwei Uhr mittags, fühlten sich aber nach
     der schlaflosen Nacht immer noch müde und zerschlagen – sie waren erst um acht Uhr morgens ins Hotel zurückgekehrt und sofort
     wie tot in die Betten gefallen.
    Kurz nach drei kam Mitja mit verquollenem Gesicht in ihr Zimmer geschlurft.
    »Wo ist denn eigentlich dein Dichter geblieben?« sagte Olga plötzlich zu Lena, als sie sich an den Kaffeetisch setzten.
    »Vielleicht hat er geklopft, und wir haben im Schlaf nichts gehört? Das wäre zu dumm.«
    »Du kannst sein Manuskript ja an der Rezeption lassen und eine Notiz dazu schreiben«, meinte Olga. »Wovon handelt die Erzählung
     übrigens?«
    »Von einem Mord.«
    »Aha …« Mitja trank seinen Kaffee aus, goß Wasser aus der Karaffe in einen großen Becher und schaltete den Tauchsieder ein.
     »Was war bloß mit Wolkow gestern nacht los?« fragte er nachdenklich und zündete sich eine Zigarette an.
    »Der Gute hatte zuviel getrunken«, sagte Olga und zuckte die Achseln. »Dann wollte er frische Luft schnappen, und dabei ist
     ihm schlecht geworden.«
    »Und woher kam das Blut auf seinem Pullover?«
    »Er hat gesagt, er hätte Nasenbluten«, erklärte Lena.
    Da klopfte es an der Tür.
    »Unterleutnant Nikonenko«, stellte sich der junge Bursche in Uniform vor, der zur Tür hereintrat, und salutierte. »Genosse
     Sacharow hat eine Mappe bei Ihnen gelassen und mich gebeten, sie abzuholen. Hier ist seine Adresse. Er bittet Sie, ihm unbedingt
     zu schreiben.«
    »Was ist denn passiert? Warum kommt er nicht selber?«
    »Er mußte zu einer Leiche«, erklärte der Leutnant.
    »Zu wem?« fragte Mitja zurück.
    »Zu einer Leiche. Ein Mord. Am Rand des Parks, am Tobol, hat man ein ermordetes Mädchen gefunden. Ich bitte um Entschuldigung,
     ich muß gehen.« Der Unterleutnant salutierte und ging, die Mappe mit der Erzählung unter den Arm geklemmt, rasch hinaus.
    »Halt mal, wo war das?« Mitja sprang auf und stürzte ihm nach in den Flur. »Leutnant, einen Moment«, schrie er den Treppenschacht
     hinunter. »Wo genau ist das Mädchen gefunden worden?«
    »Was brüllst du denn so?« Der Milizionär hob den Kopf und hielt dabei seine Uniformmütze fest. »Ich hab doch gesagt, am Rand
     des Parks, am Flußufer.«
    »Woran ist sie denn gestorben?« fragte Mitja etwas leiser.
    »Ein Messerstich ins Herz. Ich habe keine Zeit, ich muß weg.« Die Stiefel des Leutnants klapperten rasch die Stufen hinunter.
    Ihm entgegen kam, ohne Eile, ausgeruht, frisch und mit einem Lächeln im Gesicht, Wenjamin Wolkow.

Kapitel 17
    Moskau, März 1996
    Es war neun Uhr morgens. Draußen regnete es leicht, der erste Frühlingsregen in diesem Jahr. Lena schlüpfte aus dem Bett und
     deckte Lisa zu – sollte das Kind ruhig noch ein halbes Stündchen schlafen. Am liebsten hätte sie Lisa zu Hause gelassen, aber
     Schuhe ohne Anprobe zu kaufen war ihr zu riskant. Sie duschte und trank Kaffee. Mittlerweile war Lisa von selbst aufgewacht.
    »Fahren wir heute zum Holinsheim?« fragte sie, während sie mit sichtlichem Appetit ihren Haferbrei verzehrte.
    »Morgen, Lisa. Heute kaufen wir für dich neue Schuhe und ein paar ganz besondere Spielsachen, kleine, die du gut mitnehmen
     kannst.«
    Innerhalb weniger Tage waren die Schneereste fast völlig verschwunden, nur in den Höfen lagen noch schwärzliche, poröse Haufen.
     Es machte Spaß, den Kinderwagen über den glatten Asphalt zu fahren. Bis zum Geschäft »Waren für Kinder« brauchten sie eine
     halbe Stunde. Lisa wollte eine Babypuppe, aber die einzige, die es in der ganzen Spielzeugabteilung gab, war ein kleiner Knirps
     in einem blauen Steckkissen, mit höchst naturgetreu nachgebildeten männlichen Genitalien aus glänzendem Gummi.
    Nach langem Hin und Her blieb aus der ganzen Überfülle von Spielsachen nur ein putziger Plüschaffe übrig, der unverschämt
     teuer war, dafür aber keinerlei

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