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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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elenden Bettlern, denen er ein Almosen verabreichte.
    Etwas weiter kreuzten einige christliche Chinesinnen – von dem Orden, den die französischen Barmherzigen Schwestern gründeten – seinen Weg. Sie gingen dahin mit Tragkörben auf dem Rücken und in denselben Krippen mit armen, verlassenen Wesen. Man hat sie mit Recht »Lumpensammlerinnen« genannt. Diese kleinen unglücklichen Wesen sind ja auch nichts Anderes als weggeworfene, unbrauchbare, lebende Gegenstände.
    Kin-Fo leerte seine Börse in die Hand der Barmherzigen Schwestern.
    Die beiden Fremden erschienen sehr erstaunt über die Mildthätigkeit eines Sohnes des Himmlischen Reiches.
    Der Abend sank herab. Als Kin-Fo an den Mauern von Shang-Haï war, schlug er wieder den Weg nach dem Quai ein.
    Die schwimmende Bevölkerung schlief noch nicht. Geschrei und Gesang ertönten von allen Orten.
    Kin-Fo horchte. Er war begierig, die letzten Worte zu erfahren, die sein Ohr vernehmen sollte.
    Eine junge Tankadere, welche ein Boot durch die dunklen Fluthen des Huang-Pu führte, sang folgende Strophen:
     
    »Meine Barke mit den lachenden Farben
    Ist geschmückt
    Mit tausend und zehntausend Blumen.
    Ich erwarte ihn mit sehnendem Herzen!
    Morgen muß er wiederkommen!
    Blauer Gott, wache über ihn! Mög’ Deine Hand
    Seine Rückkehr beschützen,
    Und mögest Du den langen Weg
    Ihm freundlich kürzen.«
     
    »Er wird morgen wiederkommen! Und ich, wo werde ich wohl morgen sein?« dachte Kin-Fo, den Kopf schüttelnd.
    Die junge Tankadere fuhr fort:
     
    »Er ist so weit von uns gegangen,
    Ich weiß es ja,
    Bis zum Land der Mantschus
    Bis zu den Mauern Chinas!
    O, wie mein Herz so oft
    Klopfte, wenn der Wind
    Sich erhob und mächtig anwuchs
    Und dahinsausend schnell
    Das Unwetter vertrieb.«
     
    Kin-Fo lauschte noch immer, ohne ein Wort zu sagen.
    Die Tankadere schloß wie folgt:
     
    »Was hast Du nöthig, zu streben
    Nach irdischem Glück?
    Fern von mir willst Du sterben?
    Schon leuchtet der dritte Mond!
    Komm’, der Bonze wartet unser,
    Um zugleich zu vereinen
    Die beiden Phönix, 1 unsere Zeichen!
    Komm’! O komm zurück! Ich liebe Dich so heiß,
    Und Dein Herz ist ja auch mein!«
     
    »Ja, vielleicht! murmelte Kin-Fo, der Reichthum ist ja nicht Alles auf der Welt! Das Leben ist es aber nicht werth, daß man sich um dasselbe bemüht!«
    Eine halbe Stunde später kehrte Kin-Fo in seine Wohnung zurück. Die beiden Fremden, welche seinen Schritten gefolgt waren, mußten auf der Straße bleiben.

    Seelenruhig schritt Kin-Fo auf den »Pavillon des langen Lebens« zu, öffnete dessen Thür, verschloß sie wieder und befand sich nun allein in dem von einer mattgeschliffenen Lampe halb erleuchteten Raume.
    Auf einem, aus einem einzigen Stücke Nephrit bestehenden Tische stand ein Kästchen mit einigen Stücken mit tödtlichem Gifte versetztem Opium, ein »Helfer in der Noth«, den der reiche gelangweilte Mann stets in Vorrath führte.
    Kin-Fo nahm zwei dieser Körner, legte sie auf die rothe Thonpfeife, wie sie die Opiumraucher zu benützen pflegen, und wollte diese eben in Brand setzen.
    »Zum Kukuk, rief er, auch jetzt, wo ich einschlafen will, um nie wieder zu erwachen, nicht die geringste Erregung!«
    Er zögerte einen Augenblick.
    »Nein! rief er und warf die Pfeife auf den Boden, daß sie in tausend Trümmer zersprang, ich will aber einmal erregt sein und wäre es auch nur durch die Erwartung. – Ich will es! – Ich werde es zu erreichen wissen!«
    Mit diesen Worten verließ Kin-Fo den Kiosk und begab sich, schneller als sein Schritt sonst war, nach dem Zimmer Wang’s.
Fußnoten
    1 »Die beiden Phönix« sind das Sinnbild der Ehe im Reiche der Mitte.
Achtes Capitel.
In dem Kin-Fo seinem Lehrer Wang einen ganz ernstlich gemeinten Vorschlag macht, den dieser ebenso ernsthaft aufnimmt.
    Der Philosoph hatte sich noch nicht niedergelegt. Auf einem Divan ausgestreckt, las er eben die letzte Nummer der »Pekinger Zeitung«. Wenn seine Stirn sich ein wenig runzelte, so kam das gewiß daher, daß das Blatt etwas zu freigebig war mit Lobsprüchen gegen die herrschende Dynastie der Tsing.
    Kin-Fo öffnete die Thür, trat in das Zimmer und warf sich in einen Lehnstuhl, während er ohne jede Einleitung in die Worte ausbrach:
    »Ich komme, Wang, Dich um einen Liebesdienst anzugehen.
    – Gern um zehntausend! erwiderte der Philosoph, indem er das Blat weglegte. Sprich, mein Sohn, sprich ohne Scheu, Alles, was Du verlangst, werde ich so gerne thun.
    – Den Dienst, um den es

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