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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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erinnert sich, daß die junge Witwe, wenige Tage nach dem Eintreffen des Briefes mit der Meldung seines Ruins, einen zweiten erhielt, der ganz anders lautete und ihr mittheilte, daß der siebente Mond nicht vorübergehen sollte, bevor »ihr kleiner jüngerer Bruder« zu ihr zurückgekehrt sein werde.
     

    Häufig sahen sie die Bonzen. (S. 130.)
     
    Es ist wohl unnütz, hervorzuheben, daß Le-U seit jenem Datum, dem 17. Mai, Tage und Stunden sehnsuchtsvoll zählte. Im Laufe seiner tollen Reise, deren Richtung und Wege er auf keinen Fall bekannt geben wollte, hatte Kin-Fo nicht eine Silbe von sich hören lassen. Le-U schrieb zwar nach Shang-Haï, doch blieben ihre Briefe ohne Antwort. Gewiß erscheint ihre Unruhe begreiflich, als ihr auch bis zum 19. Juni keine weitere Nachricht zugegangen war.
     

    Sie ging auf eine sogenannte »Gebet-Mühle« zu. (S. 131.)
     
    Niemals hatte die junge Frau während dieser langen Tage ihr Haus in der Cha-Chua-Allee verlassen. Sie harrte voller Sorge. Die grämliche Nan erschien auch nicht geeignet, sie in ihrer Einsamkeit zu trösten. Die »alte Mutter« benahm sich eigensinniger denn je und hätte jeden Monat hundertmal fortgejagt zu werden verdient.
    Wie viele angstvolle Stunden sollten noch bis zu Kin-Fo’s Ankunft in Peking vergehen! Le-U zählte sie und die Reihe kam ihr sehr lang vor!
    Wenn die Religion Lao-Tsu’s die älteste in China ist, und der etwa zu derselben Zeit (gegen 500 v. Chr.) verbreiteten Lehre des Confucius der Kaiser, die Gelehrten und die hohen Mandarinen zugethan sind, so zählt doch der Buddhismus oder die Lehre Fo’s weitaus die meisten Anhänger, auf der Erde überhaupt mehr als dreihundert Millionen. Der Buddhismus umschließt selbst wieder zwei verschiedene Secten, deren eine Bonzen mit grauem Ornat und rother Kopfbedeckung, die andere Lamas in gelbem Ornat als Priester hat.
    Le-U war Buddhistin der ersten Secte. Häufig sahen sie die Bonzen in dem der Göttin Koanine gewidmeten Tempel Koan-Ti-Miaos. Daselbst betete sie für den Freund ihres Herzens und verbrannte, mit der Stirn auf dem Steingetäfel des Tempels liegend, wohlriechende Stäbchen.
    Eben heute wollte sie sich wieder an die Göttin wenden und ihre Wünsche in innigstem Gebete darlegen. Eine unbestimmte Ahnung sagte ihr, daß der, dessen Ankunft sie so sehnsüchtig erwartete, von ernstlicher Gefahr bedroht sei.
    Le-U rief also »die alte Mutter« und trug ihr auf, vor der Kreuzung der Großen Allee eine Sänfte herzurufen.
    Nan zuckte die Achseln, wie sie es immer zu thun pflegte, und verschwand, dem erhaltenen Befehle nachzukommen.
    Inzwischen betrachtete die in ihrem Boudoir allein zurückgebliebene junge Witwe traurig den verstummten Apparat, der sie jetzt nicht mehr die Stimme des Entfernten hören ließ.
    »Ach, seufzte sie, er soll wenigstens erfahren, daß ich nicht aufgehört habe, seiner zu gedenken, und meine Stimme soll es ihm bei seiner endlichen Wiederkehr sagen!«
    Le-U löste also die Feder aus, welche die Phonographen-Walze in Bewegung setzte, und sprach laut in den Apparat hinein, was ihr das liebevolle Herz eingab.
    Nan’s plötzliches Eintreten unterbrach ihre zärtlichen Worte.
    »Die Sänfte erwartet Sie, Madame, übrigens hätten Sie klüger gethan, zu Hause zu bleiben!«
    Le-U hörte diese Worte nicht mehr. Sie machte sich sofort auf, ließ die »alte Mutter« nach Belieben schelten und murren und bestieg die Sänfte, welche sie nach dem Koan-Ti-Miao bringen sollte.
    Der Weg dorthin verlief ziemlich gerade. Er führte die Cha-Chua-Allee hinauf bis zur Straßenkreuzung und dann längs der Großen Allee hin bis zum Thore Tiens.
    Die Sänfte bewegte sich jedoch nur mühsam vorwärts. Es war jetzt eben Geschäftszeit, und in diesem stark bevölkerten Stadttheile herrschte dann ein besonders lebhafter Verkehr. Auf der Straße gaben die vielen Buden der Verkäufer der Allee das Aussehen eines Meßplatzes mit seinem Geschrei und Getümmel. Hier traten Redner auf, dort öffentliche Lehrer oder Wahrsager, Photographen, Caricaturenzeichner, welche selbst die Mitglieder der Mandarinenkaste mit ihrem Griffel nicht verschonten. Alles schrie und polterte wild durcheinander. Dann kam wieder ein pomphafter Leichenzug, der jede Bewegung hemmte, oder eine Hochzeitsgesellschaft, bei der es vielleicht weniger lustig zuging als bei dem vorigen, die aber einen ebenso großen Raum für sich in Anspruch nahm. Vor dem Yamen einer Magistratsperson sammelte sich eine Menschenmenge. Ein

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