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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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schüttelnd, vielleicht hat er den Tod in den Fluthen des Peï-Ho nur gesucht, um sich dieser entsetzlichen Verpflichtung zu entziehen!«
    Diese Annahme hatte wirklich die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Darüber, daß Wang sich ertränkt habe, um der Ausführung seines Auftrages überhoben zu sein, stimmten hier zwei Herzen überein, in denen das Bild des Philosophen wohl niemals verbleichen sollte.
    Nach der Katastrophe an der Palikao-Brücke verschwanden aus den chinesischen Zeitungen natürlich die lächerlichen Aufrufe des ehrenwerthen William J. Bidulph, und auch die unbequeme Berühmtheit Kin-Fo’s verlor sich so schnell, wie sie entstanden war.
    Was wurde nun aus Craig und Fry? Wohl reichte ihr Auftrag, das Interesse der »Hundertjährigen« wahrzunehmen, noch bis zum 30. Juni, also noch zehn Tage lang, im Grunde bedurfte Kin-Fo aber ihrer Dienste nicht weiter. Da Wang nicht mehr lebte, war ja gar nicht daran zu denken, daß er jenen noch umbringen könnte. Oder stand etwa zu befürchten, daß ihr Client nun selbst die verbrecherische Hand gegen sich erheben würde? Gewiß nicht. Kin-Fo verlangte ja auch nichts, als zu leben, als recht gut und recht lange zu leben. Die unausgesetzte Ueberwachung seitens Craig’s und Fry’s wurde damit also eigentlich gegenstandslos.
    Alles in Allem waren die beiden Originale wirklich brave Männer. Galt ihre Opferwilligkeit eigentlich nur dem ihnen fremdstehenden Clienten der »Hundertjährigen«, so nahmen sie ihre Aufgabe doch sehr ernst und vergaßen derselben keinen Augenblick. Kin-Fo bat sie deshalb, nun auch noch den Hochzeitsfeierlichkeiten beizuwohnen, und sie willigten gern ein.
    »Uebrigens, bemerkte Craig scherzend zu Fry, ist eine Heirat manchmal so viel wie ein Selbstmord!
    – Wo man sein Leben hingiebt, während man es zu erhalten glaubt!« fügte Fry mit stillem Lächeln hinzu.
    Am folgenden Tage trat in dem Hause in der Cha-Chua-Allee eine geeignetere Person an die Stelle Nan’s. Eine Tante der jungen Witwe, Frau Butalu, zog einstweilen zu ihr und wollte bis zur Feier der Hochzeit Mutterstelle bei derselben vertreten. Frau Butalu, die Gattin eines Mandarinen vierten Ranges, zweiter Classe mit blauem Knopfe, früher kaiserlicher Lehrer und Mitglied der Akademie Han-Liu, besaß alle körperlichen und geistigen Eigenschaften, um jenes wichtige Amt würdig auszufüllen.
    Kin-Fo gedachte Peking gleich nach der Vermählung zu verlassen, da er nicht zu den Leuten gehörte, welche die Nachbarschaft eines Hofes leiden mögen. Ganz glücklich konnte er sich erst dann fühlen, wenn er seine junge Frau in dem reichen Yamen zu Shang-Haï schalten sah.
     

    Kin-Fo reichte der hübschen Le-U die Hand. (S. 141.)
     
    Kin-Fo mußte sich also nach einer vorläufigen Wohnung umsehen und fand, was er suchte, in Tiene-Fu-Tang, dem »Tempel des Himmlischen Glückes«, ein seines Hotel und Restaurant, nahe dem Boulevard Tiene-Men, zwischen der Tataren-und Chinesenstadt.
     

    Ungeheure leuchtende Papierdrachen stiegen empor. (S. 141.)
     
    Hier fanden auch Craig und Fry, die nun einmal von ihres Clienten Seite nicht weichen konnten, ein behagliches Unterkommen. Soun versah seinen Dienst wieder murrend wie immer, aber immer auf der Hut vor einem verrätherischen Phonographen. Nan’s Erfahrung hatte ihn vollständig gewitzigt.
    Kin-Fo hatte die Freude, zwei seiner Bekannten aus Canton anzutreffen, und zwar den Kaufmann Yin-Pang und den Gelehrten Hual. Außerdem kannte er verschiedene Beamte und Händler in der Hauptstadt, welche es für ihre Pflicht betrachteten, bei dem bevorstehenden wichtigen Ereignisse als Zeugen zu dienen.
    Jetzt war er wirklich glücklich, der ehemalige Lebensmüde, der unerregbare Schüler des Philosophen Wang! Zwei Monate voller Sorgen, Angst und Strapazen dieser stürmischen Periode seines Lebens hatten hingereicht, ihn schätzen zu lernen, was irdisches Glück ist, sein soll und sein kann. Ach, der weise Philosoph hatte gar zu sehr recht! Wäre er nur noch einmal hier gewesen, um den Werth seiner Lehren anerkannt zu sehen!
    Kin-Fo verbrachte bei der jungen Frau jeden Augenblick, in dem ihn nicht die Vorbereitungen für die Hochzeit in Anspruch nahmen. Le-U strahlte vor Glückseligkeit, seit der Freund ihres Herzens in ihrer Nähe weilte. Warum plünderte er noch die reichsten Läden der Hauptstadt, um sie mit prächtigen Geschenken zu überhäufen? Sie dachte auch ohnedies ja nur an ihn und wiederholte sich die weisen Lehren des berühmten

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