Die leise Stimme des Todes (German Edition)
Schaum quoll zwischen den Lippen des Toten hervor, rann über die Mundwinkel zum Hals hinab. Die Spritze steckte noch immer in der Armbeuge und da würde sie bleiben, bis die Spurensicherung der Polizei sie als Beweisstück sicherte.
Während der Hüne den Blick durch den Raum schweifen ließ, löschte der Schlanke alle Daten von der Festplatte des Computers, klemmte das mitgebrachte Modem ab und schaltete das Gerät aus.
Kurz darauf verließen sie das Zimmer.
1. Kapitel
Als Mark Keller an diesem Morgen erwachte, fühlte er sich, als sei er über Nacht um vierzig Jahre gealtert. Die Sonne schien fahl in sein Zimmer und zwang ihn, sofort die Augen zu schließen.
Der schale Geschmack von Alkohol und Zigaretten klebte in seinem Mund. Die letzte Nacht war er mit Freunden durch die Altstadt gezogen, sie hatten herumgealbert und jede Menge Spaß gehabt. Nun bereute er jedes zuviel getrunkene Bier.
Hinter seinen Augen pochte ein heftiger Schmerz. Mühsam quälte er sich aus dem Bett und tapste barfuß über den eiskalten Boden ins Badezimmer.
Der Blick in den Spiegel ließ ihn schaudern. Sein Gesicht schien jede Farbe verloren zu haben. Die Augen waren gerötet. Dunkle Ringe zeichneten sich darunter ab. Er öffnete den Wasserhahn, ließ das Becken volllaufen, bevor er sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht spritzte.
Plötzlich begann es in seinem Magen zu rumpeln. Bittere Galle kroch seine Speiseröhre hinauf. Er stürzte zur Toilette und erbrach sich heftig. Auf seiner Stirn perlte Schweiß, als er sich erhob und zurück zum Waschbecken trottete, um sich den Mund auszuspülen.
Mit zitternden Händen öffnete er den Badezimmerschrank und tastete nach der Aspirinschachtel. Er nahm zwei Tabletten aus der Verpackung, schob sie in den Mund und spülte sie mit Wasser hinunter. Noch einmal warf er einen Blick in den Spiegel, dann begann er sich den Belag von den Zähnen zu schrubben. Noch während er sich die Zähne putzte, klingelte das Telefon im Nebenzimmer. Fluchend spuckte er das klebrige Weiß aus und wischte sich den Mund ab.
„Hallo, ich bin es, Paul“, klang es aus dem Hörer.
„Scheiße, bist du verrückt, um diese Uhrzeit anzurufen!“
„Es ist kurz vor neun.“
„So spät? Verdammt, ich müsste längst in der Firma sein.“
Mark Keller arbeitete seit drei Jahren als Systemoperator bei einer großen amerikanischen Firma, die ihren europäischen Hauptsitz in München hatte. Es war ein Job, den er weder liebte noch hasste. Ursprünglich hatte er Informatiker werden wollen, aber nach drei Jahren Studium hatte Mark eingesehen, dass er es nicht schaffen würde. Der Stress und die Anforderungen des Studiums waren enorm gewesen, und er hatte dem permanenten Druck nicht standgehalten. Dabei hatten seine Dozenten in ihm den talentiertesten Studenten gesehen, den sie jemals unterrichtet hatten, denn Mark konnte mit Computern wahre Zauberdinge vollbringen.
Seine Freundin Tina hatte seinen Werdegang einen permanenten Abstieg zum Nullpunkt genannt, aber Tina war inzwischen Vergangenheit. Sie hatte ihn wegen eines anderen verlassen.
Mark wusste, dass er ohne Tina besser dran war. Dennoch, er vermisste sie. Tina war ständig damit beschäftigt gewesen, die Leere in ihrem Inneren zu füllen. Sie war von einem Fitnesskurs zum nächsten gerannt, hatte sich täglich in hektische Aktivitäten gestürzt. Mark war das genaue Gegenteil von ihr. Mit einem guten Buch auf dem Sofa zu liegen, Musik zu hören oder einfach nur seinen Gedanken nachzuhängen, das war es, was für ihn das Leben lebenswert machte.
Er selbst bezeichnete sich als ausgeglichen, sie hatte ein anderes Wort benutzt - phlegmatisch. Tina wiederum erinnerte ihn an eine Badewanne. Eine Badewanne, deren Abfluss nicht geschlossen war und in die man permanent Wasser einlaufen lassen musste, damit der Pegel nicht fiel. Sobald der Wasserfluss versiegte, lief die Badewanne leer. Tina musste ständig irgendetwas tun, damit ihr Wohlfühlpegel oben blieb. Sie konnte nicht nur faul daliegen und gar nichts machen. Nein, etwas in ihrem Inneren trieb sie an, sie füllte ihre knappe Freizeit mit Aktivitäten aus, die Mark sinnlos und anstrengend fand.
Vor zwei Tagen hatte Tina ihre Sachen aus der Wohnung abgeholt. Wenn Mark sich umblickte, erinnerte nichts mehr daran, dass sie beide über ein Jahr lang gemeinsam hier gelebt hatten. Tina hatte keine Spuren hinterlassen. Vielleicht war das gut so. Mark wusste es nicht. Er wusste nur, dass er sie vermisste
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