Die leise Stimme des Todes (German Edition)
inzwischen verblasster Schriftzug an den Seitenwänden zeugte davon, dass dieser Wagen einmal dazu benutzt worden war, Lebensmittel für einen türkischen Gemüseladen zu transportieren.
In dem Wagen saßen zwei Männer in grauen Overalls. Auch sie trugen dunkle Sonnenbrillen, denn ebenso wie Kurt Wenner wollten sie nicht erkannt werden.
Einer der beiden war schlank mit fast zierlichem Gesicht, ohne dass es feminin wirkte. Sein blondes Haar erinnerte an reifen Weizen, war gepflegt und sorgfältig nach hinten gekämmt. Man sah diesem Mann an, dass er gern in der Sonne lag oder zumindest regelmäßig ein Solarium besuchte, denn seine Haut war gebräunt und verlieh ihm neben den blendend weißen Zähnen ein gesundes Aussehen. Der Name des Mannes war Rico Sanden, und die Frauen flogen auf ihn.
Neben ihm auf dem Fahrersitz, die Ellbogen auf das Lenkrad gestützt, saß der zweite Mann - Boris Koszieky. Ihn hätten Frauen selbst dann nicht attraktiv gefunden, wenn er sich einen Tausend-Euroschein auf die Stirn geklebt hätte. Wuchtig und grobschlächtig, sah er wie ein Metzger aus, und seine kleinen, bösartigen Augen verrieten, dass ihm eine solche Tätigkeit mit Sicherheit Spaß gemacht hätte.
Koszieky war fast zwei Meter groß, wog einhundertfünfzig Kilo, und obwohl er fett wirkte, bestand sein Körper aus stahlharten Muskelpaketen. An beiden Ober- und Unterarmen trug er Tätowierungen, die Drachen, von Messern durchbohrte Herzen und nackte Frauen darstellten. Knasttätowierungen. Koszieky hatte mehr als die Hälfte seines Lebens in Gefängnissen verbracht - stets wegen Gewaltdelikten.
Seit drei Jahren war er allerdings auf freiem Fuß, und das hatte er Rico Sanden zu verdanken. Seit er seinen jetzigen Partner kennen gelernt hatte, geriet er nicht mehr in Gefahr, verhaftet und angeklagt zu werden. Zum einen sorgte Rico dafür, dass er es nicht zu weit trieb und seine Gewalt dosiert einsetzte, zum anderen stand hinter ihnen ein Mann, der einen sehr langen Arm hatte.
Koszieky blickte aus dem Augenwinkel zu Sanden hinüber, der die Augen geschlossen hatte und sich auf das Kommende konzentrierte. Rico vollführte diese Konzentrationsübung vor jedem Auftrag. Koszieky hatte sich längst daran gewöhnt, obwohl es ihm unheimlich war, wenn Sanden die Lider aufschlug und ihn aus diesen leuchtend blauen Augen anstarrte, er sähe er ihn zum ersten Mal.
Das Funkgerät meldete sich, Kurt Wenner gab eine erneute Positionsmeldung durch. Nicht mehr lange, und die Sache konnte steigen. Der Plan sah vor, Mark Keller mit dem Lieferwagen zu rammen. Wenner würde ihnen genau sagen, wann es soweit war. Dann würden sie mit hoher Geschwindigkeit aus der Seitenstraße jagen und Mark Keller vom Asphalt fegen. Anschließend würden sie natürlich Fahrerflucht begehen. Niemand hatte Lust, die Fragen der Polizei zu beantworten, auch wenn sie an einer Stelle lauerten, an der Rechts vor Links galt, sie also Vorfahrt hatten und die Schuld bei dem unachtsamen Fahrradfahrer lag.
Wichtig war, und deswegen war diese Stelle ausgesucht worden, dass sich in der Nähe keine Wohnhäuser oder Schulen befanden, wo Beobachter zu unliebsamen Zeugen werden konnten. Vorsorglich waren gefälschte Nummernschilder montiert worden, und der Lieferwagen selbst würde innerhalb einer Stunde verschrottet werden.
„Achtung! Er kommt!“, meldete sich Wenner. „Noch dreihundert Meter!“
Sanden nickte.
„Zweihundert Meter!“
Koszieky legte den Gang ein, ohne den Fuß von der Kupplung zu nehmen.
„Einhundert Meter!“
Sanden und Koszieky legten die Sicherheitsgurte an. Koszieky ließ kurz den Motor aufheulen.
„Fünfzig Meter!“
Koszieky nahm den Fuß vom Kupplungspedal. Der Lieferwagen rollte langsam an.
„Vierzig Meter!“
„Dreißig Meter!“
Die Entfernungsangaben kamen jetzt im Sekundentakt. Es klang wie ein Countdown der NASA, wenn ein Shuttle gestartet wurde.
„Zwanzig Meter!“
Koszieky beschleunigte auf eine Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern. Der Lieferwagen hatte die Einfahrt zur Marienstraße fast erreicht.
„Zehn Meter!“
Koszieky gab Vollgas.
Katherine Tallet nutzte die Gelegenheit, noch schnell eine Tasse Kaffee zu trinken, bevor sie in den Operationssaal musste. Sie trat an die Kaffeemaschine im Schwesternaufenthaltsraum, nahm sich eine Tasse, schenkte die dampfende, dunkelbraune Flüssigkeit ein und goss Kondensmilch hinterher, bis der Kaffee die Farbe von Karamell hatte. Den Zucker ließ sie weg. Sie hielt
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