Die Leopardin
auch schon, wer ihm das verraten würde.
Ihr Ehemann.
+ + + letzter tag + + +
dienstag, 6. juni 1944
Dieter Franck saß auf einer Bank am Bahnsteig. Französische Eisenbahner und deutsche Soldaten standen geduldig im Licht der grellen Lampen und warteten wie er auf den Gefangenenzug aus Paris. Der hatte Verspätung, mehrere Stunden sogar, doch man hatte Franck versichert, er werde kommen, und so wartete er eben. Ihm blieb gar nichts anderes übrig. Der Zug war sein letzter Trumpf, seine letzte Chance.
Wut zerfraß ihm das Herz. Er war gedemütigt und besiegt worden – von einer Frau. Hätte es sich um eine Deutsche gehandelt – er wäre stolz auf sie gewesen, hätte sie »tapfer« und »brillant« genannt, sich vielleicht sogar in sie verliebt. Aber sie kämpfte für den Feind und war immer um einen Schritt voraus, stets um eine Finte besser gewesen als er. Sie hatte Stephanie ermordet, das Schloss zerstört und war entkommen. Bisher. Aber sie hatte ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er, Dieter Franck, würde sie doch noch kriegen. Er würde sie Folterqualen erleiden lassen, wie sie sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht hätte ausmalen können – und dann würde sie reden.
Am Ende redeten alle.
Der Zug fuhr wenige Minuten nach Mitternacht ein.
Franck roch den Gestank, noch bevor der Zug zum Stehen kam. Der gleiche Gestank wie in einem Viehstall, nur ekelerregend menschlich.
Keiner der willkürlich aneinander gekoppelten Waggons war ursprünglich für den Transport von Passagieren vorgesehen gewesen. Außer Güterwagen und Viehwaggons war sogar ein Postwagen dabei, dessen schmale Fenster zerborsten waren. Jeder Waggon war mit Menschen überfüllt.
Die Seitenwände der Viehwaggons bestanden aus Holzlatten, von denen einzelne fehlten, damit man die Tiere besser beobachten konnte. Die Gefangenen, die diesen Lücken am nächsten waren, streckten ihre Arme durch, zeigten die nach oben gekehrten Handflächen und bettelten. Sie baten darum, herausgelassen zu werden, bettelten um etwas zu essen, vor allem aber um Wasser. Die Wachen sahen teilnahmslos zu. Franck hatte angeordnet, dass den Gefangenen in dieser Nacht in Reims keinerlei Vergünstigungen gewährt werden durften.
Er hatte zwei Scharführer der Waffen-SS bei sich, Wachtposten aus dem Schloss und beide gute Schützen. Er hatte sie aus dem Chaos von Sainte-Cecile abkommandiert und sich dabei auf seine Autorität als Major verlassen. Jetzt wandte er sich zu ihnen um und befahl: »Holen Sie Michel Clairet.«
Clairet war zu Beginn der Warterei in die fensterlose Kammer gesperrt worden, in der der Bahnhofsvorsteher das Bargeld aufbewahrte. Dort holten ihn die beiden SS-Männer jetzt heraus und brachten ihn auf den Bahnsteig. Die Hände hatte man ihm auf dem Rücken gebunden, und damit er nicht weglaufen konnte, hatte man ihm auch Fußfesseln angelegt. Was in Sainte-Cecile geschehen war, hatte ihm niemand erzählt. Er wusste nur, dass er zum zweiten Mal binnen einer Woche gefangen genommen worden war. Von seiner alten Freibeuter-Mentalität war nicht mehr viel übrig geblieben. Zwar bemühte sich Michel Clairet noch immer um ein gewisses forsches Auftreten, um sich selber Mut zu machen, aber der Versuch misslang. Das Hinken war schlimmer geworden, seine Kleider waren schmutzig, seine Miene düster – das Bild eines Besiegten.
Franck nahm ihn beim Arm und führte ihn näher an den Zug heran. Zunächst schien Clairet gar nicht zu verstehen, was er da sah, und sein Gesicht verriet lediglich Verwirrung und Angst. Doch dann, als er die bettelnden Hände erkannte und die mitleiderrege n- den Stimmen vernahm, taumelte er, als hätte man ihn geschlagen. Franck musste ihn stützen. »Ich brauche ein paar Informationen«, sagte er.
Clairet schüttelte den Kopf. »Lassen Sie mich mit in den Zug«, sagte er. »Das sind mir liebere Begleiter als Sie.«
Franck war empört über die Beleidigung und verblüfft über Clairets Mut. »Ich will wissen, wo das Flugzeug für die Dohlen landet«, sagte er. »Und wann.«
Clairet starrte ihn an. »Sie haben sie nicht erwischt!«, sagte er, und plötzlich lag ein Hoffnungsschimmer auf seinem Gesicht. »Sie haben das Schloss in die Luft gejagt, was? Sie haben’s geschafft!« Er warf den Kopf zurück und stieß einen Jubelschrei aus. »Großartig, Flick!«
Franck führte ihn langsam an dem gesamten Zug entlang. Er sollte genau sehen, wie viele Gefangene es waren und wie sehr sie litten. »Das Flugzeug«, sagte er
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