Die Lerche fliegt im Morgengrauen
Der Fahrer war ein junger Geheimdiensthauptmann namens Rashid, den er schon früher kennengelernt hatte. Er gehörte zur neuen Generation und war von den Engländern in Sandhurst ausge bildet worden. Aroun bot ihm eine englische Zigarette an und nahm selbst eine.
»Was meinen Sie, welche Schritte sie jetzt unternehmen werden?«
»Die Amerikaner und die Briten?« Rashid war vorsichtig. »Wer weiß? Sie werden ganz gewiß reagieren. Präsident Bush scheint einen harten Kurs zu verfolgen.«
»Nein, jetzt irren Sie sich«, widersprach Aroun. »Ich habe den Mann zweimal persönlich im Weißen Haus erlebt. Er ist das, was die Amerikaner einen netten Kerl nennen. Von Härte war nichts zu bemerken.«
Rashid zuckte die Achseln. »Ich bin ein einfacher Mann, Mr. Aroun, ein Soldat, und vielleicht sehe ich die Dinge zu simpel. Da ist ein Mann, Marineflieger mit zwanzig, der lange im aktiven Dienst stand, der über dem Japanischen Meer abge schossen wurde und überlebte, um dann mit dem Distinguished Flying Cross ausgezeichnet zu werden. So einen Mann würde ich nicht unterschätzen.«
Aroun runzelte die Stirn. »Ich bitte Sie, mein Freund, die Amerikaner würden niemals ihre Armee um die halbe Welt schicken, um einen kleinen arabischen Staat zu beschützen.«
»Haben die Briten nicht genau das im Falklandkrieg getan?« erinnerte Rashid ihn. »In Argentinien hatte man niemals mit einer solchen Reaktion gerechnet. Natürlich stand dahinter die Entschlossenheit Margaret Thatchers, hinter den Engländern, meine ich.«
»Diese verdammte Frau«, sagte Aroun und lehnte sich zu rück, während sie durch das Tor des Präsidentenpalastes rollten. Plötzlich fühlte er sich deprimiert.
Er folgte Rashid durch Flure mit marmorner Pracht. Der junge Offizier ging voraus und hatte eine Taschenlampe in der Hand. Es war eine seltsame, unheimliche Erfahrung, diesem kleinen Lichtfleck auf dem Fußboden zu folgen, begleitet vom Echo ihrer Schritte. Wächter standen rechts und links neben der reichverzierten Tür, vor der sie schließlich anhielten. Rashid öffnete sie und trat ein.
Saddam Hussein war allein und saß in Uniform an einem großen Schreibtisch. Das einzige Licht kam von einer Schreib tischlampe. Er schrieb gerade, langsam und sorgfältig, blickte auf und lächelte und legte dann seinen Füllfederhalter beiseite.
»Michael.« Er kam um den Tisch herum und umarmte Aroun wie einen Bruder. »Was macht Ihr Vater? Geht es ihm gut?«
»Er erfreut sich bester Gesundheit, mein Präsident.« »Richten Sie ihm meine besten Wünsche aus. Sie sehen gut aus, Micha el. Paris bekommt Ihnen.« Er lächelte wieder. »Rauchen Sie, wenn Sie wollen. Ich weiß, daß Sie es gerne tun. Die Ärzte haben mir leider geraten, damit aufzuhören.«
Er ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder, und Aroun nahm ihm gegenüber Platz und war sich der Anwesen heit Rashids, der im Dunkeln an der Wand lehnte, durchaus bewußt. »Paris war sehr schön, aber in diesen schwierigen Zeiten ist mein Platz hier.«
Saddam Hussein schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, Michael. Ich habe Soldaten im Überfluß, aber nur wenige Männer wie Sie. Sie sind reich, berühmt, werden in den höch sten Kreisen der Gesellschaft und der Politik überall auf der Welt geschätzt. Und mehr noch als das, dank Ihrer geliebten Mutter seligen Andenkens sind Sie nicht nur ein Iraki, sondern auch ein französischer Staatsbürger. Nein, Michael, ich brau che Sie in Paris.«
»Aber warum, mein Präsident?« fragte Aroun.
»Weil ich Sie vielleicht eines Tages bitten muß, einen Dienst für mich und Ihr Land auszuführen, zu dem nur Sie fähig sind.«
Aroun sagte: »Sie können sich stets auf mich verlassen, das wissen Sie.«
Saddam Hussein stand auf und ging zur nächsten Balkontür, öffnete die Fensterläden und trat hinaus auf die Terrasse. Das Signal der Entwarnung erklang wie ein Wehklagen überall in der Stadt, und hier und da gingen die ersten Lichter an.
»Ich hoffe noch immer, daß unsere Freunde in Amerika und England auf ihrem eigenen Hinterhof bleiben, aber wenn nicht …« Er zuckte die Achseln. »Dann müssen wir sie vielleicht auf ihrem Hinterhof bekämpfen. Denken Sie daran, Michael, wie der Prophet uns bereits im Koran lehrt, steckt in einem Schwert mehr Wahrheit als in zehntausend Worten.« Er hielt inne, dann fuhr er fort, wobei er den Blick nicht von der Stadt wendete. »Ein Scharfschütze in der Dunkelheit, Michael, ob vom briti schen
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