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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht brauche – und nicht haben sollte –, ist die absolute Autorität des Kapitäns eines Schiffes auf See. Ich schlage vor, dass man mich als ›Sprecherin‹ tituliert, also als Präsidentin des Parlaments – das heißt, mein einziges echtes Privileg ist, dass ich bei diesen Sitzungen als Erste das Wort ergreifen darf
und dass jeder von euch, der etwas sagen will, mich anspricht. Okay?«
    Ohne jemandem die Chance zu geben, darauf zu reagieren, fuhr sie fort.
    »Des Weiteren: Was die Gesetze angeht, mit deren Hilfe wir unser Leben ordnen, so haben wir ein Handbuch, ein Gesetzbuch, das von den Sozialingenieuren in Denver ausgearbeitet worden ist. Aber sie sind nicht hier – ebenso wenig wie die Hälfte der Kandidaten, für die es gedacht war. Wir können es als Richtlinie benutzen, aber ich schlage vor, dass wir stattdessen ein ›Schiffsgesetz‹ entwickeln, wie wir es ohnehin schon nennen. Eiserne Regeln in puncto Sicherheit sowie Wartung des Schiffes und seiner Systeme, Regeln, die wir alle akzeptieren, können als Grundlage einer Reihe von Gesetzen dienen, die sich bei Bedarf herausbilden werden, durch Präzedenzfälle, also von Fall zu Fall. Ein Gesetz, das wir nicht brauchen, ist für mich ein schlechtes Gesetz. Arbeiten wir es selbst aus. Ich sollte vielleicht sagen, dass ich diese Vorschläge nach einer Beratung mit meinen hochrangigen Kolleginnen und Kollegen hier mache; es sind also gemeinsame Vorschläge.
    Des Weiteren …«
    Bei diesem zweiten »Des Weiteren« bemerkte Holle eine leichte Unruhe in der Menge, die ersten Anzeichen strapazierter Geduld.
    »Des Weiteren will ich nicht, dass ich oder jemand anders der Crew, also euch, Entscheidungen aufzwingt. Dazu ist das Schiff zu klein. Ich möchte wirklich gern per Konsens regieren. Nicht einmal per Mehrheitsbeschluss, bei dem immer eine abgelehnte Minderheit zurückbleibt. Ich mochte Einmütigkeit erreichen, wenn es irgend geht. Wenn es Streit gibt, diskutieren wir es einfach aus, so lange es eben dauert. Wir haben weiß Gott die Zeit dafür, zwischen hier und 82 …«

    »Oh, gut«, sagte Theo Morell leise. »Wir können auf dem ganzen Weg zu den Sternen reden, reden und reden. Ich kann mir vorstellen, was mein Dad dazu gesagt hätte.«
    Holle wagte in einem solchen Forum nicht einmal zu grinsen. Sie fragte sich jedoch, wie lange diese schönen Ideen vorhalten würden. Während Kelly sprach, saß Venus mit ausdrucksloser Miene hinter ihm am Tisch, und Wilson ließ den Blick herausfordernd über die Crew schweifen, wie ein Affe. Holle glaubte, dass Venus, Wilson und vielleicht auch noch andere ein langfristig angelegtes Spiel in der zunehmend komplizierten politischen Arena der Arche trieben. Nachdem sie mit diesen äußerst konkurrenzorientierten und begabten Individuen in der Akademie aufgewachsen war, wusste Holle, dass so etwas unvermeidlich war. Sie selbst scheute vor solchen Spielen zurück. Aber ihr schwante, dass die wie auch immer beschaffene Macht- und Befehlsstruktur, die sich in den kommenden Monaten und Jahren herausbilden würde, wenig mit Kellys utopischen Visionen gemein haben würde.
    Sie versuchte sich auf das zu konzentrieren, was Kelly gerade sagte.
    Teilweise schien es wohlüberlegt zu sein. Kelly hatte sich einige Gedanken über das Wesen der Freiheit in der Lebenswelt der Arche gemacht. Die Notwendigkeit, grundlegende gemeinsame Systeme aufrechtzuerhalten, würde eine natürliche Tendenz zur Zentralisierung von Macht hervorrufen. Doch auf so engem Raum konnte man sich vor einer Tyrannei nicht verstecken, man konnte nicht fliehen – und die Arche war derart fragil, dass keine Rebellion geduldet werden konnte. Die üblichen Mechanismen, mit denen sich Tyranneien auf der Erde infrage stellen ließen, standen hier also nicht zur Verfügung.
    »Und das könnte auch noch so sein, nachdem wir die Erde II erreicht haben«, fuhr Kelly fort. »Auch dort werden wir – zumindest
anfangs – in geschlossenen Schutzräumen leben; wir werden sogar für unsere Atemluft auf gemeinsame Systeme angewiesen sein. Also müssen wir einen Weg finden, dafür zu sorgen, dass jeder sich an die grundlegenden, lebenserhaltenden Regeln hält, die unser Leben immer beherrschen werden, ohne dabei in Tyrannei zu verfallen. Es ist ein ganz neues Experiment, die menschlichen Angelegenheiten zu organisieren – unser Experiment. Und wenn wir es richtig hinkriegen, könnte die Art, wie wir unsere Angelegenheiten jetzt organisieren, den kommenden Generationen

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