Die Letzte Arche
…«
Ein Schrei ertönte.
Venus verstummte sofort. Es hatte sich wie ein Vogelschrei angehört, gedämpft durch die dicken Gewebeschichten der Unterkunft.
»Das war ein Mensch«, sagte Don.
»Susan«, meinte Holle.
Don sprang auf und entblößte dabei die Beine und den Hintern. »Gehen wir.«
Zane kämpfte mit der aufgeblasenen Schiene, die sein Bein umschloss. »Wartet – die Simulationsprotokolle …«
Don hatte eine Schusswaffe in der Hand. Sie musste unter der Decke gelegen haben. »Scheiß drauf.« Er lief zur Wand und zog an einer Schnellentriegelungs-Schlaufe; das Wandelement öffnete sich. Vor einem Hintergrund aus Bergen und dem halbdunklen Abendhimmel sah Holle Menschen und wehenden Rauch. Don stürmte hinaus, die Decke um die Hüften geklammert, die Waffe in der ausgestreckten Hand.
26
Die Kandidaten kamen aus den miteinander verbundenen orangefarbenen Kuppeln, die Decken um den Körper geschlungen. Außer Don war keiner von ihnen bewaffnet.
Holle versuchte, die Szenerie zu überblicken. Zerlumpte Menschen marschierten in einer Reihe wachsam auf die Unterkünfte zu. Sie waren bewaffnet, aber soweit Holle sehen konnte, nur mit Fackeln, Messern und so etwas wie Macheten. Es waren alles Erwachsene, aber in dem trüben Licht konnte Holle nicht erkennen, wie alt sie waren. Sie war nicht einmal sicher, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Sie fragte sich, wie sie an der Sicherheitsabsperrung der Akademie vorbeigekommen waren. Was sie wollten, war klar. Die Kandidaten besaßen hochwertige Unterkünfte, warme Kleidung und Decken, Nahrung, sauberes Wasser – ein Sammelsurium von Versorgungsgütern, die das Leben dieser Menschen von Grund auf verändern konnten.
In der Mitte der Reihe war Susan. Man hatte ihr den Overall bis zur Taille heruntergezogen, so dass ihre Unterwäsche zu sehen war, ihr weißer BH; sie mussten sie mit Pablo erwischt haben. Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt, und eine Frau, die ihre Haare um die Hand gewickelt hatte, zog ihr den Kopf nach hinten. Susan wirkte jedoch durchaus ruhig und schien unverletzt zu sein.
Don blieb stehen, die Schusswaffe in beiden erhobenen Händen. Seine Decke war heruntergefallen, so dass er nackt dastand.
Sein Körper war bleich. Er sagte nichts. Die anderen versammelten sich hinter ihm.
»Tut mir leid«, rief Susan. »Sie sind mir gefolgt, und als ich mich mit Pablo getroffen habe, haben sie uns beide geschnappt. Ich glaube, es geht ihm gut – sie haben ihn geschlagen …«
»Er lebt«, sagte die Frau, die sie festhielt, mit einem kalifornischen Akzent. Sie klang jung, vielleicht nicht älter als Susan selbst. »Wir sind keine Mörder. Wir haben bloß Hunger.«
»Das ist nah genug«, sagte Don.
Sie blieben stehen. Die Frau trat hinter Susan hervor, nur einen einzigen Schritt. »Wir wollen nur …«
Don schoss.
Der Kopf der Frau explodierte, eine karmesinrote Blume. Sie zuckte und stürzte zu Boden. Ihre Hand blieb in Susans Haare gekrallt, und Susan wurde auf sie hinabgezogen; sie schrie laut auf. Die anderen Banditen standen ein, zwei Sekunden lang schockiert da. In dieser Zeit arbeitete sich Don an der Reihe entlang, ein Schuss, zwei, drei, nur eine Kugel für jedes Opfer. Sie fielen in den Dreck, ihr Blut leuchtend rot. Bevor er den Vierten erwischte, löste sich die Reihe auf, und die anderen rannten davon. Don feuerte eine vierte, fünfte Kugel ab, aber sie waren bald außer Schussweite. Don hielt sich das bloße Handgelenk vor den Mund und begann zu sprechen; er musste ein Funkimplantat haben.
Holle war die Erste, die aus dem Schock erwachte. Sie lief zu der weinenden Susan, deren rechte Schulter und Brust mit verschmiertem Blut, einem helleren, fleischartigen Zeug und so etwas wie Knochensplittern bedeckt waren. Sie zerrte vergebens an ihrem Overall. Holle half ihr, die Arme in die Ärmel zu stecken.
Kelly stand vor Don, die Decke fest um den Körper geschlungen. »Du hast sie getötet«, sagte sie. »Ohne zu zögern.«
»Scheiß Eye-Dees«, sagte er ausdruckslos. Er atmete schwer, war ansonsten jedoch ruhig. Holle sah zu ihrem Erstaunen, dass er eine Erektion hatte.
Kelly starrte ihn an. »Manchmal glaube ich, ich kenne dich überhaupt nicht.« Und dann krallte sie abrupt die Hand in den Bauch und übergab sich. Sie krümmte sich zusammen, die Decke gab ihre Schultern frei, die blonden Haare fielen ihr ins Gesicht.
Venus eilte zu ihr. »Kelly? Kelly, Schatz? Was ist los?«
Kelly erschauerte und erbrach sich
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