Die Letzte Arche
erneut; dünne Galle spritzte ihr in gewundenen Fäden aus dem Mund. Sie blickte zu Venus auf, zu Holle und dem nackten Don mit seiner Waffe. »Scheiße.« Sie wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Ich glaube, ich bin schwanger.«
27
SEPTEMBER 2039
Die Kandidaten bekamen die Anweisung, sich zur endgültigen Evakuierung der Akademie im ausgeweideten IMAX-Kino des alten Museums zu versammeln.
Als Holle zu dem Kino kam, schaute sie sich verzweifelt um. Im Saal herrschte Chaos; überall Cops, Soldaten der Luftwaffe und Heimatschutz-Heinis. Die Sitzreihen waren mit Menschen und ihrer hastig zusammengepackten Ausrüstung gefüllt. Inmitten der tristen Militäroutfits stachen die Kandidaten hervor wie bunte exotische Vögel.
Holle erspähte Kelly in der Nähe des Ausgangs. Bündel stapelten sich zu ihren Füßen. Don Meisel stand neben ihr; er trug eine Schutzweste der Polizei und hielt eine schwere automatische Waffe in den Armen. Wie Holle hatte auch Kelly ein Schild mit der Aufschrift »B-6« an der Brust, die Kennung des gepanzerten Busses, mit dem sie Denver verlassen sollten. Kelly trug ihr Kind, den gerade einmal zwei Monate alten Dexter, in einem knallroten Tragegestell auf der Brust. Sie schaukelte den kleinen Jungen und sprach leise auf ihn ein, während sein Vater sich angespannt und nervös umschaute. Beide waren gerade einmal einundzwanzig, aber die Elternschaft ließ sie älter erscheinen.
Holle drängte sich durch die Menge, ihren Rucksack auf dem Rücken, Kellys restliche Sachen – Babykleidung und Windeln – in großen Segeltuchtaschen in den Händen. Als sie bei den beiden anlangte, ließ sie die Taschen zu Kellys Füßen fallen. Da alle
zu schreien schienen, musste auch sie die Stimme erheben, um sich verständlich zu machen. »Ich glaube, jetzt habe ich alles.«
»Danke, Holle, du bist eine echte Freundin.«
»Es war höllisch schwer, hierher durchzukommen. Warum haben sie die Abfahrtsstelle zum IMAX verlegt?«
»Ging nicht anders«, sagte Don. »Probleme am Haupteingang. Zu viele Leute wollen heute was von euch Kandidaten abhaben. Wir konnten nicht für eure Sicherheit garantieren. Deshalb musste es so laufen.«
Das klang nicht gerade beruhigend. Die Akademie wurde mitten im Chaos einer stadtweiten Evakuierung geräumt. Mel war schon weg; man hatte ihn zu der neuen Kandidatenunterkunft bei Gunnison vorausgeschickt. Sie wünschte, er wäre hier, damit sie sich gegenseitig unterstützen könnten, wie Kelly und Don. »Je eher wir in diesem Bus sitzen und die 285 entlangfahren, desto besser.«
»Ganz meiner Meinung«, sagte Don.
Kelly fragte: »Hast du schon was Neues vom Warp-Test gehört? «
»Noch nicht.« Inmitten der chaotischen Aufgabe Denvers blieb Projekt Nimrod hartnäckig auf seinem Kurs. Am heutigen Tag sollte ein unbemannter Test der Warp-Blasen-Technologie durchgeführt werden. Ein winziges Stück Antimaterie war in die Nase eines Ares-Trägers gesteckt worden, um in der Erdumlaufbahn eine Blase zu erzeugen. Die Blase würde mit Überlichtgeschwindigkeit davonfliegen, aber nicht, ohne zuvor von Beobachtern auf der Erde und von Instrumenten im Weltraum gesichtet worden zu sein. In einem Winkel ihres Bewusstseins machte Holle sich Sorgen wegen dieses wichtigen Meilensteins, auch wenn es nur eine Ablenkung von aktuelleren Problemen war.
Edward Kenzie und Patrick Groundwater kamen geschäftig herbei. Sie trugen beide AxysCorp-Overalls, an denen dieselbe Buskennung prangte wie bei Kelly und Holle. »Gott sei Dank.« Patrick packte Holle an den Armen und küsste sie. Holle fand, dass er bei jedem Treffen angestrengter, müder und grauer aussah. »Alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut. Nur … es ist ein Arbeitstag, und du trägst keinen Anzug.« Sie lachte gezwungen. »Dadurch wirkt alles so real.«
»Oh, und ob es real ist«, knurrte Edward Kenzie. »Und es wird mit jeder verdammten Sekunde realer.« Der pummelige, resolute Mann war wütend, dachte Holle, wütend auf die immer weiter vordringende Flut oder auf die wimmelnden Menschenmengen, die seine Tochter, seinen Enkel und sein Projekt in solche Gefahr brachten. Er horchte in einen Ohrstöpsel hinein. »Sie beladen jetzt unseren Bus. Die Nationalgarde hält diesen Ausgang frei. Aber sie haben die Kontrolle über den Haupteingang verloren, und in der Umgebung des alten Eingangs für Schülergruppen tobt eine regelrechte Schlacht. Nicht zu glauben, dass es so weit kommen konnte.«
»Tja, so ist das nun mal mit der
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