Die Letzte Arche
müssen von dort verschwinden.« Er drückte auf ein Eingabefeld außerhalb ihres Blickfelds. »Nein, Argent, das ist keine Übung, verdammt nochmal. Schaff deinen mageren Arsch jetzt sofort rüber zur Startrampe.« Ein weiterer Tastendruck, und seine Hand blieb in der Nähe der gelockerten Krawatte hängen. »Mr. President. Ja, Sir, hier ist das Startkontrollzentrum beim Pikes Peak. Nach General Morells Mitteilung haben wir den Zeitplan beschleunigt. Ich bin zuversichtlich, dass wir – ja, Sir, ich verstehe. Wenn Sie mich für eine Sekunde entschuldigen.« Er schaute finster drein, als würde er Holle direkt anfunkeln. »Jedes von euch Arschlöchern aus der Crew, das mir zuhört, wie ich mit dem Präsidenten spreche, statt seinen Arsch zum Schiff rüberzuschaffen, wird viel Zeit haben, das zu bereuen. Ja, Sir, sprechen Sie weiter …«
»Aus.« Der Schirm wurde dunkel.
Benommen schaute sie sich um. Sie hatte halb mit so etwas gerechnet und schon einmal ihre Sachen vorbereitet. Ihr Startanzug lag ausgebreitet über einem Stuhl, ein lose sitzender Innenanzug mit eingenähten medizinischen Sensoren und Funkvorrichtungen sowie ein robuster, leuchtend blauer Overall aus AxysCorp-Stoff, ein klobiges Ding mit eingebauten Aufprallschutz-Luftkissen, Kühlsystem und Anschluss zum Entsorgungssystem. Und sie hatte den kleinen Beutel halb fertiggepackt, der
die einzigen persönlichen Sachen enthalten würde, die sie an Bord der Arche mitnehmen durfte, Datensticks, Angels, Fotos auf Papier – eine Haarlocke von Mel.
Sie setzte sich in Bewegung, lief umher und sammelte die letzten Dinge aus dem Schlafzimmer und dem Badezimmer ein, ihre Zahnbürste, ihre Box mit Monatsbinden.
Sie hörte laute Rufe, aufheulende Motoren, schnelle Schritte, das unaufhörliche Plärren der Sirene und ein Knallen, das wie Schüsse aus Handfeuerwaffen klang. Mit zitternden Händen legte sie die beiden Schichten des Fluganzugs an. Sie konnte nicht glauben, dass dies geschah, dass die Zeit gekommen war, der endgültige Abschied. Sie musste dringend aufs Klo, aber das konnte sie auch auf der Arche erledigen.
Sie suchte eilig nach ihren Stiefeln. Draußen vor dem Fenster flackerten rote Lichter in diesem unheildrohenden atomaren Rhythmus.
In der Eingangshalle im Erdgeschoss wimmelte es von Crew-Mitgliedern und Angehörigen des Bodenpersonals. Militärs mit Waffen im Anschlag geleiteten die Crewmitglieder zu den gepanzerten Bussen, die sie zur Arche bringen würden.
Quer durch den Raum war eine Glaswand errichtet worden, die ihn in zwei Hälften teilte. Seit Tagen schon hatten Unbefugte keinen Zutritt mehr zu den Crewbereichen; so wollte man die Besatzung bazillenfrei halten. Mel war nicht da. Aber inmitten der Handvoll Partner, Kinder und Eltern, die verlassen jenseits der Barriere standen, sah Holle ihren Vater.
Sie lief zu ihm, ließ die Tasche fallen und drückte die Hände ans Glas; er legte von der anderen Seite seine auf ihre. »Dad – oh, Dad. Ich würde dieses Glas am liebsten zerschlagen.«
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Das wäre keine gute Idee.«
»Ich habe versucht, sie zu überreden, dich am letzten Abend reinzulassen. Ich wollte dir eine Paella machen.«
»Keine Sorge, die mache ich mir selbst – dir zu Ehren. Und ich werde sowieso über Funk mit dir sprechen; so leicht wirst du mich nicht los.«
»Mel ist nicht da. Er hat gesagt, er würde hier sein.«
»Es ist schwer für ihn, Schätzchen. Ich rede mit ihm. Ich sorge dafür, dass es ihm gutgeht.«
Jemand ließ eine Pfeife ertönen, der letzte Aufruf für die Busse.
»Dad …«
»Eins will ich dir noch sagen, Liebes; das habe ich dir noch nie erzählt. Deine Mutter und ich haben Thandie Jones zugehört, als sie dem IPCC in New York ihre Weltuntergangstheorie dargelegt hat. Danach bist du gezeugt worden. Du warst ein Kind der Hoffnung. Aber ich habe dir nie erklärt, warum wir dich Holle genannt haben. Auf Orkney hat mir meine Großmutter alte nordische Geschichten erzählt … Du bist nach der alten nordischen Göttin des Lebens nach dem Tod benannt – Holle, Hel, Hulda. Holle ist die Göttin der Verwandlung.« Er weinte jetzt. »Ich habe immer gehofft, dass du dieses Versprechen irgendwie einlösen würdest. Und hier bist du nun und gehörst zum Leben nach dem Tod der ganzen Welt.«
Das war mehr, als sie ertragen konnte. » These are the days of miracle and wonder, stimmt’s, Dad?«
Er trat behutsam zurück. »Nicht weinen, Baby.« Seine Stimme war
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