Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)
ihr nicht bieten konnte. Er hatte nur nicht erwartet, dass sie dieselbe Wirkung auf irgendeinen anderen haben würden.
Aber als Tru aufstand, war seine untypische Zaghaftigkeit verschwunden. »Ja, Verstärkung ist gut.«
»Und ich habe es nicht so gemeint, als ich dich als Kind bezeichnet habe, klar?« Mason nagelte ihn mit einem ernsten Blick fest. »Ich weiß zu schätzen, was du hier geleistet hast.«
Tru strahlte kurz und setzte dann wieder seine Mir-doch-scheißegal-Miene auf. »Kein Problem.« Wieder huschte sein Blick zu dem Bett hinüber, auf dem Jenna lag. »Was also jetzt?«
»Ein Schloss. Ich brauche ein Schloss.«
Eine Stunde später hatte er eine Kette vor die Tür ihres Schlafzimmers geschweißt. Er würde Tru pünktlich ablösen, auf Patrouillie gehen, Essen in sich hineinschaufeln und pinkeln gehen können – alles, ohne sich zu fragen, ob Jenna auf der Suche nach Frischfleisch die Station durchstreifte. Er legte die Kette vor und schlug kräftig mit der Stirn gegen die Tür.
Sie hatte sich in eine gottverdammte Wölfin verwandelt.
Nein. Denk nicht darüber nach.
Also weg damit – er schob es in eine Ecke.
Er ging zur Dusche. Lauwarmes Wasser prasselte auf seinen nackten Rücken, ließ die Haut so prickeln, wie Jenna das gelungen war – nur dass ihre Küsse nicht so beliebig wie das Plätschern des Wassers gewesen waren. Sie hatte ihn gezielt berührt, alle Stellen gefunden, die wehtaten, und den Schmerz gelindert, bis seine Verteidigungswälle sich in Dampf aufgelöst hatten.
Ein Schrei baute sich in ihm auf, sammelte sich in seinen Bauchmuskeln unmittelbar unter dem Bauchnabel, versengte seine Organe und drängte durch seinen Körper nach oben, bis nichts mehr ihn zurückhalten konnte. Angst, Trauer und hohles, zerstörtes Verlangen brachen als Gebrüll hervor und hallten von den gekachelten Wänden wider. Am Ende, als seine Lunge leer war, fiel er auf dem Boden der Dusche auf die Knie. Wasser strömte ihm über seinen Kopf. Er kratzte sich die nasse Kopfhaut. Die tagealten Stoppeln juckten wie Stahlwolle. Müde holte er sein Messer und wünschte, er hätte es gegen sich selbst richten können – eine endgültigere Lösung, als sich nur die Haare vom Kopf zu schaben. Mason schäumte sich ein und rasierte sich, weil er dieses Minimum an Ordnung durchsetzen musste. Der Zugriff auf die Realität entglitt ihm und sickerte ihm aus den Poren. Er spürte, wie er innerlich abtauchte.
In einer letzten Aufwallung von Energie drehte er die Dusche ab. Das Wasser lief nicht weiter. Er zitterte. Das Knie, das er sich auf dem Eis aufgeschlagen hatte, blutete wieder. Er sah zu, wie ein dünnes Rinnsal seines Bluts in den Ausguss lief. Er wusste nicht, wieso er sich noch bewegte, aber irgendwie gelang es ihm. Jede Bewegung war schwerfällig und gedämpft, als er sich abtrocknete. Nachdem er Jeans und ein T-Shirt angezogen hatte, stieg er zu den Schlafräumen hinauf und löste die Kette von Jennas Tür.
Keine Veränderung. Sie war nicht wach und lächelte ihn nicht zur Begrüßung an, aber sie lag auch nicht im Fieber, war nicht verwandelt oder tot – zu viele entsetzliche Möglichkeiten. Nein, dieser Augenblick schien ganz gut geeignet, um sich auszuruhen.
Also tat er das.
Er schob die Neun-Millimeter-Pistole in Griffweite unter das Stockbett und legte sich zu ihr. Sein Körper ließ ihren winzig wirken und spottete der schmalen Matratze, aber er musste sie festhalten. Er wickelte sie beide in die Decke ein und schob das Gesicht in ihr Haar. Als er einen Hauch von Moschus und Schnee wahrnahm, sagte er sich, dass ihn das nicht kümmerte. Sie war Jenna. Seine Jenna. Und er würde sie bis zum Morgen festhalten.
Vier Tage vergingen in einem verschwommenen Albtraum. Jeden Morgen erwachte Mason erschöpfter als am Abend zuvor. Die anderen behandelten ihn wie ein rohes Ei, aber er zügelte seinen Frust. Er wusste es jetzt besser. Sie konnten neben ihren eigenen Sorgen nicht auch noch seinen Zorn gebrauchen. Also legte er die Kette vor, stapfte hinaus, um sich etwas zu essen zu holen, und beantwortete ihre stummen Fragen knapp mit: »Keine Veränderung.«
Er fütterte Jenna und rieb ihr die Kehle, um sie zum Schlucken zu bringen. Er säuberte sie, wenn ihr Körper dieses Essen verarbeitete. Und er hörte einfach nicht auf, es weiter zu versuchen, ganz gleich, wie hoffnungslos es aussah.
Welsh wirkte so zerschlagen, wie Mason sich fühlte. Früher war der Wissenschaftler immer ordentlich rasiert gewesen
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