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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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kleinen silbernen Fische im Mittagswind schon knusprig vor sich hin. Es wurde gelacht, geschwatzt, man entkorkte die eisgekühlten Weißweinflaschen, die Männer setzten sich schließlich, und die Frauen kamen mit ihren Stapeln von blitzblanken Tellern aus der Küche. Geschickt packte meine Großmutter einen der kleinen drallen Körper, schnupperte daran und beförderte ihn zusammen mit ein paar anderen auf den Teller. Mit ihren gütigen, einfältigen Augen schaute sie mich freundlich an und sagte: »Da, nimm, Kleiner, die erste ist für dich! Donnerwetter, der ist ja ganz versessen drauf.« Und alle brachen in lautes Gelächter aus, man klopfte mir auf den Rücken, während die wunderbare Speise vor mir landete. Ich hörte nichts mehr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf den Gegenstand meiner Begierde; die graue, blasenübersäte und von langen schwarzen Streifen durchzogene Haut haftete nicht einmal mehr an den Flanken, die sie bedeckte. Ich machte mit meinem Messer einen Schnitt in den Rücken des Tieres und zerlegte sorgfältig das weißliche, gerade eben durchgebratene Fleisch, das sich in festen Lamellen und ohne den geringsten Widerstand löste.
    Im Fleisch des gebratenen Fischs, von der bescheidensten Makrele bis zum erlesensten Lachs, gibt es etwas, was sich der Zivilisation entzieht. So haben die Menschen, während sie lernten, ihren Fisch zu kochen, wohl zum ersten Mal ihr Menschsein gespürt, in dieser Substanz, von der das Feuer gleichermaßen die Reinheit und die wesenhafte Wildheit offenbarte.
    Über dieses Fleisch zu sagen, es sei fein, sein Geschmack sei subtil und expansiv zugleich, es reize das Zahnfleisch in einer Mischung aus Heftigkeit und Zartheit, zu sagen, die leichte Bitterkeit der gebratenen Haut in Verbindung mit der außerordentlichen Öligkeit des dichten, festen und kraftvollen Gewebes, das den Mund mit dem Geschmack eines Anderswo erfüllt, mache aus der gebratenen Sardine einen kulinarischen Höhepunkt, wäre etwa soviel, wie die einschläfernde Wirkung des Opiums zu unterstreichen. Denn hier geht es weder um Feinheit noch um Zartheit, weder um das Kräftige noch um das Ölige, sondern um das Wilde. Es braucht eine starke Natur, um sich diesem Geschmack zu stellen; in ihm ist nämlich auf die exakteste Art und Weise die ganze primitive Roheit enthalten, unter deren Berührung unser Menschsein sich herausbildet. Es braucht auch eine unverfälschte Natur, die kräftig zu kauen versteht, unter Ausschluß jeder anderen Nahrung; ich verschmähte die Kartoffeln und die gesalzene Butter, die meine Großmutter neben meinen Teller stellte, und verschlang gierig ein Stück Fisch nach dem anderen.
    Das Fleisch ist männlich, kraftvoll, der Fisch fremdartig und grausam. Er kommt aus einer anderen Welt, der Welt eines verborgenen Meeres, das sich niemals preisgeben wird, er zeugt von der gänzlichen Relativität unserer Existenz, und doch gibt er sich uns hin in der flüchtigen Offenbarung einer unbekannten Landschaft. Während ich die gegrillten Sardinen genoß, als Autist, den im Moment nichts stören konnte, wußte ich, daß ich mich zum Menschen machte durch diese außergewöhnliche Konfrontation mit einer von anderswoher kommenden Empfindung, die mir gerade durch das Gegensätzliche mein Menschsein bewußt machte. Unendliches Meer, grausames, urtümliches, sublimes Meer, wir schnappen mit gierigen Mündern nach den Erzeugnissen deines rätselhaften Wirkens. Die gegrillte Sardine entfaltete in meinem Gaumen wie eine Gloriole ihr unverfälschtes, exotisches Bukett, und ich wuchs mit jedem Bissen, erhob mich jedesmal eine Stufe höher, wenn die Meeresasche der geplatzten Haut meine Zunge liebkoste.
     
    Aber das ist noch nicht, was ich suche. Ich habe vergessene, unter dem Prunk meiner königlichen Bankette begrabene Empfindungen an die Oberfläche geholt, habe an die ersten Schritte meiner Berufung als Kritiker angeknüpft, die Düfte meiner Kinderseele freigesetzt. Und das alles ist es nicht. Die Zeit, die mittlerweile drängt, läßt die undeutlichen, doch erschreckenden Umrisse meines endgültigen Scheiterns hervortreten. Ich will nicht aufgeben. Ich mache eine gewaltige Anstrengung, mich zu erinnern. Und wenn das, was mich so verhöhnt, letzten Endes nicht einmal schmackhaft wäre? Wie bei der gräßlichen Madeleine von Proust, jenem absonderlichen Gebäck, das an einem trostlosen Nachmittag in einem Löffel – o höchste Geschmacklosigkeit – Kräutertee in schwammige Brösel

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